Wer entscheidet eigentlich, was in der Fußballberichterstattung relevant ist? Man möchte doch meinen, Relevanz spielt eine gewichtige Rolle. Natürlich liegt es im Ermessen jedes einzelnen Medienkonsumenten zu entscheiden, was relevant ist und was nicht.
Die Aufgabe eines Mediums könnte es sein, für den Konsumenten eine Vorauswahl zu treffen: was ist wichtig genug, um thematisiert zu werden?
Natürlich versuchen die Protagonisten des Fußballgeschäfts, Spieler, Vereine, Funktionäre, Berater, diese Auswahl zu beeinflussen - indem sie nur die Informationen kommunizieren, die ihnen nützlich erscheinen, indem sie vollmundige Ankündigungen verlautbaren lassen, indem sie Helferlein und ganze Agenturen beschäftigen, die die Außendarstellung regeln, damit ja nichts dem Zufall überlassen ist.
Und natürlich erkennt der Konsument mit ausreichend Medienkompetenz nichtssagendes Marketing-Blabla und zum Event aufgebauschte Möbelhauseröffnungen. Aber die meisten Konsumenten sind keine Medienprofis. Und genau an dieser Stelle könnten die Medien ins Spiel kommen. Man hofft als Konsument, dass dort Profis im besseren Sinne arbeiten, die eine Auswahl treffen und heiße Luft von heißem Scheiß unterscheiden können. Pustekuchen.
Warum ich das schreibe? Als Fußball-Afficionado ist man um die Ankündigungen von Oli Kahn nicht herum gekommen:
Was mag der Titan wohl Geheimnisvolles meinen? In meiner Twitter-Timeline nahm man das Ganze eher belustigt zur Kenntnis:
Am 10. Oktober ließ die Bild
die Bombe den Luftballon platzen: Kahn wird Markenbotschafter des FC Bayern in Asien.
"Aha, das ist aber mal interessant." Denkt sich irgendein Fußball-Marketing-Experte in seinem stillen Kämmerlein. Bei Lichte und aus der Perspektive des normalen Medienkonsumenten betrachtet, ist diese Meldung wohl vor allem eines: irrelevant. Denn das Jobprofil eines Markenbotschafters ist in etwa so klar definiert wie die Transferpolitik beim HSV.
Eine Bild-Exklusiv-Info ohne Bestätigung des Titan? Kein Hindernis für die dpa die Meldung lustig weiterzuverbreiten und kein Hindernis für allerhand Medien, den Bericht möglichst schnell durch den eigenen Überschriften-Generator zu jagen und rauszuhauen.
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Screenshot Google News, 11.10.16 - 11:39 Uhr |
In vielen Redaktionen sind die Klickzahlen mutmaßlich ein höheres Gut als objektive Berichterstattung. Es ist ja auch zu verlockend: die Null-Meldung lässt sich hervorragend abmelken. Denn schließlich lassen sich Überschriften á la 'Kahn zum FC Bayern' basteln, die sicher eifrig geklickt werden.
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Screenshot tz |
Mit Glück erfährt der Leser dann zwischen den Zeilen, was denn nun die Neuigkeit ist. Viel Zeit wurde beim Zusammenklicken der Artikel darauf verwendet, alte Meldungen zur Kahn-Ankündigung zu recyceln und den langweiligen Hergang der Dinge nachzuerzählen. Oder man pustet einfach die dpa-Meldung heraus.
Plot Twist
Schlussendlich dann der Plot-Twist:
Kahn veröffentlicht am 11. Oktober ein Facebook-Statement in dem er bekannt gibt, ab sofort für ein Unternehmen aktiv zu sein, dass Torhüter coacht. Hm, das ist nun noch langweiliger als Markenbotschafter des FC Bayern. Aber durch die Falschmeldung sind nun sämtliche Nachrichtenseiten gezwungen, die Sache ins rechte Licht zu rücken. D.h. man muss nun über den wirklich lahmen Torhüterkram schreiben und Olis stumpfe PR-Kampagne weiterverbreiten. Das bringt nicht mehr so viele Klicks, aber die Falschmeldungen stehen lassen, sieht auch irgendwie blöd aus.
Ist Oliver Kahn bzw. sein neuer Arbeitgeber Gewinner der ganzen Aktion? Oberflächlich kann man das bejahen - schließlich erreicht die unspektakuläre Meldung nun ungeahnte Reichweiten. Inwieweit man ihm das Bohei im Vorfeld,
inklusive eines Ankündigungs-Videos vor einem Bayern-Logo, übelnimmt und das seiner Integrität als Geschäftsmann und Experte schadet, wird sich zeigen. Für mich bleibt da ein Beigeschmack - ganz egal ob Kahn die Vorabmeldung bei Bild lanciert hat oder nicht.
Verloren haben ganz klar die Medien, die ein unbestätigtes Gerücht weiterverbreitet haben und diejenigen, die es in die Welt gesetzt haben. Nun müssen sich die armen Praktikanten in den Onlineredaktionen auch noch mit nervigen Richtigstellungen und der Weiterverbreitung von Olis Werbebotschaft befassen, wo sie doch eigentlich noch 50 abgeschriebene News mit einer fancy Überschrift auf die Website pusten müssten.
Ein schöner Schuss ins Knie, oder um bei Fußballsprech zu bleiben, ein klassisches Eigentor. Hätte man sich vor dem Veröffentlichen nicht nur Gedanken über Klickzahlen sondern über die Relevanz eines Markenbotschafters beim FC Bayern gemacht, man hätte sich vielleicht Ärger erspart. Und man wäre der eigentlichen Aufgabe eines Mediums nachgekommen: Einordnen, auswählen, objektiv sein und sagen was ist.
Update:
Nun beschwören die gleichen Medien, die vor Kurzem noch die Falschmeldung verbreiteten einen Shitstorm gegen Oli Kahn. Facebook-Kommentare abschreiben ist nicht schwer und ein bisschen Nachtreten wird man ja wohl noch dürfen.