Ein Jahr im Kreis
Ich spiele Fußball.
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Lange Fußballtexte wechselnder Autoren. Von und mit mir.
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Montag, 15. Juli 2013

Glut - Ein Jahr im Kreis #4

An Spieltag 1 der neuen Saison erwartete uns gleich ein Kracher - der Absteiger gastierte in unserer Arena. Dessen Team war eigentlich mal eines der stärksten der Kreisliga gewesen - das kleine Dorf hatte eine schlagkräftige, eingeschworene Mannschaft beisammen. Regelmäßig wurde um den Titel mitgespielt, junge Spieler hatte man auch in der Hinterhand und mit viel Einsatz und Kampfkraft wurden die Spiele gewonnen. In grauer Vorzeit hatten wir immer schon arg mit der zweiten Vertretung zu kämpfen gehabt, die in unserer Liga oben mitmischte. Ganz unangenehme Partien waren das. Der Verein verließ sich vor allem auf Spieler aus dem eigenen Dorf. Und auch als einige Leistungsträger die Mannschaft verließen, blieb man bei dieser Strategie - die Personaldecke wurde dünner und fußballerische Qualität ließ nach. Aus dem Titelanwärter wurde über die Jahre hinweg ein Mittelfeldteam, aus dem Mittelfeldteam ein Abstiegskandidat. In der Vorsaison stieg man dann schließlich sang- und klanglos ab und fand sich nun erstmals in der untersten Spielklasse wieder. Die zweite Mannschaft war zu diesem Zeitpunkt schon aufgelöst. Auch wenn mit dem Verein nicht mehr so viel los war, für uns würde es allemal reichen.

Hinzu kam, dass eine nicht unerhebliche Rivalität zwischen den beiden Mannschaften besteht, die eher vom Gegner als von uns ausging. Ich habe bis heute nicht ergründen können, wieso man immer so besonders motiviert war, wenn es gegen eine unserer Vertretungen ging. Hinzu kam außerdem, das ich aus A-Jugend-Zeiten viele der Gegenspieler kannte. Aus Personalgründen hatte man weiland eine SpielZweckgemeinschaft gegründet, um sonntags morgens nach durchzechter Nacht mit 50 Kilometern Anfahrt Auswärtsspiele in der Bezirksklasse bestreiten zu dürfen. Grauenvolle Erinnerungen an das frühe Aufstehen, die ewige Fahrerei und das verkaterte Gestolper sind bei mir noch immer mehr als präsent. Argwöhnisch betrachtete man die Brut aus dem Nachbardorf und spielte den Ball, wenn man die Wahl hatte, lieber zu einem “bekannten” Mitspieler. Hinzu kam ferner unsere ausgesprochene Uneingespieltheit und meine unausgegorene physische Vorbereitung gepaart mit tropischen Temperaturen und einem mittäglichen Anstoß. Muss ich noch erwähnen, dass ich mich innerlich auf eine üble Klatsche einstellte?

Aber die eigentlichen Probleme begannen schon viel früher. Stichwort Anreise. Wie erwähnt, wohne und arbeite ich auswärts. Da ist man aufs Auto angewiesen. Genau dieses versagte aber den Dienst. Am Nachmittag vor dem Saisonauftakt befand ich mich bereits auf der Autobahn, als mir beim Überholen ein anderer Autofahrer signalisierte, dass wohl etwas nicht stimmte. Ich spitzte die Ohren und kontrollierte Seiten- und Rückspiegel. Nichts zu sehen. Zu hören war aber ein unschönes Geräusch, dass ich nicht näher zuordnen konnte. Innere Unruhe machte sich breit. Ich wurde langsamer. So ziemlich jeder Autofahrer gab mir nun beim Überholen mit verschiedensten Gesten zu verstehen, dass da etwas im Argen lag. Musste also eindeutig aussehen. Ich traf für mich die Entscheidung, die Autobahn bei der nächsten Abfahrt vorsichtig zu verlassen und dann nachzuschauen, was los war. Dem wilden Gefuchtel der mich Überholenden nach zu urteilen, wäre eine Vollbremsung auf der linken Spur oder ein Sprung aus dem fahrenden Wagen angebrachter gewesen.

Ich stellte mein Auto ab und begann meinen Rundgang. Hinten angekommen sah ich den Quell des Übels. Mein Endschalldämpfer hatte sich gelöst und neuerdings direkten Fahrbahnkontakt. Das musste in der Tat spektakulär ausgesehen haben bei Tempo 120. Ich rief in meiner Unwissenheit den Pannendienst, der schon bald darauf anrückte, das lose herumbaumelnde Endstück entfernte und mir sagte, dass ich erstmal so weiter fahren konnte - weite Strecken allerdings meiden sollte. Da mein Auto nur geringfügig jünger als ich war, entschloss ich mich in der Folgezeit, diese, wie auch andere Reparaturen, einfach auszusitzen. Das Auto stand mir damit nicht mehr für Anfahrten zu Fußballspielen zur Verfügung. Insbesondere nicht für das tags darauf stattfindende Spiel gegen den Absteiger.

Die Panne war eine mittlere Katastrophe. Als Verkehrsmittel stand nun nur noch der Zug zur Verfügung. Die längere Anreise und die lichten Fahrpläne würden es nicht leichter machen, die Termine am Wochenende einzutakten. Für das anstehende erste Spiel nahm ich am nächsten Morgen den Zug, um 45 Minuten vor dem Spiel auf dem Bahnhof anzukommen, dort abgeholt zu werden und 60 Minuten nach Spielende schon wieder im Zug zu sitzen. Auf diese logistisch-organisatorische Komponente und die hochgradig langweilige Zugfahrt hätte ich gerne verzichtet.

Ich kam also kurz vor knapp auf dem Sportplatz an, wo sich die Mitspieler schon umgezogen hatten. Schnell die Spielkleidung übergestreift und dann zum Aufwärmen auf den Platz. In unseren Reihen war auch ein Spieler, den ich noch nicht kannte. Handelte es sich um einen verkappten U-19-Nationalspieler. Vom Auftreten her anscheinend schon, denn der neue Sportsfreund hielt es nicht für nötig sich mir vorzustellen. Vielen Dank.

Der Anpfiff war für 13 Uhr terminiert und die Sonne brannte gnadenlos herunter. Trotz wohldosiertem Aufwärmprogramm, schwitzten wir bereits jetzt wie nichts Gutes. Das würde wohl kein schöner Nachmittag werden. Während der kurzen Besprechung vor dem Spiel wurde nicht viel gesprochen - es wird ernst. Ich spielte, eigentlich wie immer, linken Verteidiger. Als Linksfuß war ich dort immer gut aufgehoben und konnte verhältnismäßig wenig Schaden anrichten.

In der Ferne sahen wir den Schiedsrichter aus dem Kabinentrakt kommen. Gleich wird er pfeifen. Die Mannschaften stellen sich auf. In den Reihen des Gegners sind einige bekannte Gesichter, man begrüßt sich. Dann folgt das Einlaufen und man nimmt Aufstellung an der Mittelinie. Beide Mannschaften begrüßen mit gekonntem Winken die handvoll Zuschauer und die umstehenden Bäume und Büsche. Anpfiff.

Unsere Gegner lassen es zunächst ruhig angehen und sorgen nicht für große Torgefahr - auch sie haben mit der Hitze zu kämpfen. Aus unseren Reihen entspringt nach wenigen Minuten ein ungewohnt sehenswerter Angriff - der Ball läuft schnell durchs Mittelfeld, ein ordentlicher Schuss und wir führen. 1:0 gegen den Favoriten, nach nur 10 Minuten. Unser Jubel hält sich in Grenzen. Die Hitze, der starke Gegner - was bedeutet da ein solcher Führungstreffer nach 10 Minuten? Ich stellte mich darauf ein, dass wir unseren Gegner damit aus der Reserve gelockt hatten und nun Angriff auf Angriff auf uns zurollen würde.

Aber nichts der Gleichen passierte. Das Spiel plätscherte weiter vor sich hin. Und doch kassierten wir den Ausgleich. Muss man erwähnen, dass es sich um einen kapitalen Torwartfehler handelte. Auf Torwartfehler zu spekulieren ist eines der effektivsten taktischen Mittel in den Niederungen des Amateurfußballs. Schon vor dem Spiel wird ganz genau geschaut, wer auf der anderen Seite zwischen den Pfosten steht. Es wird eine grobe Einordnung getroffen und meistens lohnt es sich, von wo auch immer zu schießen. Beliebt sind auch weite Bälle über die Verteidigung, die den Torwart vor die Wahl stellen sein Tor zu verlassen oder eben nicht. Natürlich passieren Torhütern Fehlern, vor allem auf diesem Niveau. Und oft genug halten sie auch Bälle, die du eigentlich schon im Tor gesehen hast. Aber dieses Gegentor war schon mehr als ein Ausrutscher. Wie sonst könnte eine unmotivierte Flanke von der Mittellinie im Tor landen. Eine Flanke, die kein Gegner erreichen konnte. Unser Torwart verlässt seinen Kasten um den Ball mit der Mütze abzufangen, dieser springt nun aber entgegen allen Regeln der Physik vor ihm auf, und man ahnt es bereits, über ihn hinweg und bollert in unser verwaistes Tor. Slapstick. Aber niemand lacht. Auch der Gegner nicht. Zu oft hat man schon ähnliche Tore gesehen und nur zu oft war man selbst der Leidtragende.

Die schöne Führung nach 30 Minuten durch eine dumme Aktion dahin, die Hitze drückt, der Gegner nicht. Das Zusammenspiel in der Abwehr mit dem gerade 18 Jahre alten Stopper funktioniert zwar nicht besonders gut, aber es ist immer ein Bein dazwischen und die Gegner können in Schach gehalten werden - sie scheinen auch nicht den besten Tag erwischt zu haben.

Die zwei Spitzen des Gegners weichen mir immer wieder aus. Der Trainer der anderen Mannschaft kennt mich. Er war es, der damals auch die Zweckgemeinschaft betreute. Dennoch kann ich mir keinen Reim darauf machen, wieso die Stürmer die Außenpositionen nicht besetzen. Ob man beim Vorstopper und im defensiven Mittelfeld Schwächen ausgemacht hat oder dahinter einfach nur Unordnung steht - ich weiß es nicht. Was ich mir aber in keinem Fall vorstellen kann, ist, das mein Ex-Trainer mich als nicht zu überwindendes Ein-Mann-Abwehrbollwerk einschätzt. Unsere Spieler in der zentralen Defensive sind zwar schon etwas älter, aber sehr schwer zu knacken.
Ich nutze meinen Freiraum und schalte mich mit beschränktem Erfolg in die Angriffe ein. Ein paar Mal kann ich außen durchlaufen oder zum Mittelfeldmann vor mir aufrücken und suboptimale Flanken schlagen - in Anbetracht von Wetter, Gegner und Saisonzeitpunkt eigentlich ganz gut. Das gilt auch für unser zentrales Mittelfeld. Immer wieder wurschteln wir uns vors Tor des Gegners und nach einem tumben Foul bekommen wir einen Elfmeter und können in Führung gehen. Die kann bis zur Halbzeit mehr oder weniger ungefährdet gehalten werden. Dafür, dass man hier gegen den Kreisligaabsteiger spielt, das ist ganz wichtig und muss immer wieder betont werden - ganz gut.

Pause. Wir verkriechen uns in den Schatten und wissen nicht so richtig, wie weiter. So harmlos hatten wir uns den Gegner nicht vorgestellt. Schwächer werden sie in Halbzeit 2 bestimmt nicht spielen und die Hitze wird ihr Übriges tun. Alle in der Mannschaft, die schon etwas länger dabei sind, wissen, dass hier noch gar nichts gewonnen ist. Beim Gegner wird gewechselt. Ein alter Bekannter betritt den Platz. Auch mit ihm habe ich in der A-Jugend zusammengespielt. Ich war früher immer froh gewesen, dass er in meiner Mannschaft war und noch viel froher war ich gewesen, ihm niemals auf einem Schulhof begegnet zu sein - ein athletischer groß gewachsener Fiesling, der passabel Fußball spielen konnte. Auf dem Platz bearbeitete er meine Seite und man merkte sofort, dass ein Ruck durch das andere Team ging. Er übernahm das Kommando. Unser Gegner lief jetzt den einen Schritt mehr und vorbei war es mit der soliden Abwehrarbeit - beim 2:2 glich die Abwehrreihe dem berühmt berüchtigten Hühnerhaufen.

Auf meiner Seite war jetzt ordentlich Betrieb. Zuerst geht meinem Vordermann die Puste aus - er bleibt jetzt selbst bei eigenem Ballbesitz auf Höhe des letzten Mannes zurück. Auch meine Kondition geht zu Ende und so entstehen auf immer wieder Überzahlsituationen - und immer beteiligt - der Fiesling. Das 3:2 fällt trotzdem unglücklich - man könnte gar von einem weiteren Torwartfehler reden, aber lassen wir das. Entlastungsangriffe unsererseits sind jetzt Fehlanzeige, das Mittelfeld funktioniert nicht mehr und der Gegner kann schalten und walten wie er will. Unsere Abstöße werden nur noch panisch nach vorne gebolzt und kommen postwendend wieder zurück. Wir kassieren das 4:2 und wollen nun nur noch nach das Spiel ordentlich zu Ende bringen.

Einen letzten Lichtblick gibt es noch als unser U-19-Stopper einen verzweifelten Befreiungsschlag aus kurzer Entfernung genau dort bei einem Gegenspieler (leider nicht Fiesling) einschlagen lässt, wo es besonders wehtut: “Ihr nehmt zwar die Punkte mit, aber dafür müsst ihr mit Schmerzen bezahlen”. Oder so.

Abpfiff. Erschöpfung. Trotz Halbzeitführung und ordentlichen 45 Minuten ohne Chance. Eine akzeptable Leistung mit unglücklicher Dramaturgie. Eine Niederlage mit weggeschenkter Führung tut schon ein bisschen weh. Halb so wild - war eh der Absteiger, endlich Ende. Schnell was trinken und dann zum Bahnhof.


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