Ein Jahr im Kreis
Ich spiele Fußball.
In der letzten Liga.
Und schreibe darüber.
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Die lange Karriere des Miroslav Klose in der Nationalmannschaft.
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120minuten
Lange Fußballtexte wechselnder Autoren. Von und mit mir.
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Donnerstag, 13. Dezember 2012

Allesfahrer - Ein Jahr im Kreis #2


Ich komme vom Dorf. Aus den neuen Bundesländern. Das ist eine schöne Sache, wenn man Kind ist. Tiere, Natur, frische Luft uswusf. das ganze Programm (damit ist das Dorf gemeint). Wenn man älter wird, ändert sich die Gemengelage und statt Wiesen, Wäldern und sauberem Wasser hätte man lieber einen Job/Studienplatz und ein differenzierteres kulturelles Programm - also mehr Möglichkeiten sich mal ordentlich zu besaufen. An Zweiterem ist mein Interesse nun nicht (mehr) so groß. Dennoch fiel mir die Entscheidung, was denn nun nach der Schule zu tun sei, relativ leicht: Weg vom Dorf, in die Stadt, oder gleich in den Westen, bloß nicht hier klebenbleiben.

So denken viele. Und das ist ein großes Problem für die Sportvereine. Es gibt Jugendteams und Vereinsarbeit in allen Altersklassen mit Meckereltern, mehr oder weniger eifrigen Trainern und vollem Spielbetrieb in einer Liga. Nur haben die Vereine meist wenig davon, wenn die Jugendspieler anstelle des Männerbereichs in die alten Bundesländer vorstoßen. Nach dem Schulabschluss sieht man zu, dass man Land gewinnt. Und ein kleiner Verein vom Dorf betreibt schon gute Jugendarbeit, wenn jede Saison ein 18-jähriger in den Männerbereich aufrückt. Demografiewandel, Landflucht, Strukturschwäche - um einfach noch ein paar Stichwörter zu nennen.

Aber es gibt eine Sorte von Spielern, die dem entgegenwirken und damit dafür sorgen, dass allerorten die Dorf-Opas Wochenende um Wochenende zum Trinken und Meckern ausrücken dürfen: Die Pendler. Der gemeine Pendler arbeitet/studiert/lernt auswärts und kehrt jedes Wochenende (oder auch jedes zweite, dritte, vierte) an den Ort seiner fußballerischen Menschwerdung zurück, um mit den immer gleichen Gesellen gegen den Ball zu treten. Die Liebe zum Spiel und die Verbundenheit zu den alten Weggefährten führt sie immer wieder zusammen auf den Sportplätzen der untersten Ligen, um dort beim bedeutungslosen Kräftemessen gegeneinander anzutreten. Meistens spielen Familie, Frauengeschichten und andere belanglose soziale Verpflichtungen dabei auch noch eine Rolle.

Am meisten Spaß macht es doch mit alten Bekannten zusammenzuspielen, auf dem Platz, auf dem du schon in der C-Jugend gestanden hast. Und unter deinen Mitspielern finden sich Fußballer, von denen du nicht gedacht hättest, dass du mal zusammen mit ihnen spielst - ehemalige BezirksligaWeltklassespieler, die es nicht lassen können oder Trainer aus deiner Jugend oder Onkel, Brüder, Väter, Schulkameraden. Das Gleiche gilt für die Gegenspieler. Zu denen gibt es immer eine Vorgeschichte - man weiß um Stärken und Schwächen und kann sich auf sie einstellen. Man kennt sich eben. Ein in sich abgeschlossener Mikrokosmos.

Ich bin auch einer von denen, die am Wochenende zurückkehren. Ich habe zwar nicht den weitesten Anfahrtsweg, aber über 100 km (bei mir) sind schon ein ordentliches Stück, wenn man bedenkt, dass es um Grottenkicks in der letzten Liga geht. 1,5 Stunden hin, 1,5 Stunden zurück um gegen irgendeine andere 2. Mannschaft anzutreten, in der es die jüngeren Spieler ebenso machen. Vielleicht sollten sich die Teams vor den Ansetzungen einfach an einen Tisch setzen und aushandeln, wo es entfernungstechnisch am günstigsten wäre zu spielen: Stichwort Nachhaltigkeit oder besser: Sustainability. CO2-neutrale Ansetzungen für die Kreisklasse, Schiedsrichter könnten via Webcam zugeschaltet werden und über eine Kamera im Mittelkreis das Geschehen beobachten, Trainer könnten vom Sofa aus coachen - dass wäre doch mal was. Und Fans, die sich darüber beschweren könnten, sind quasi nicht existent. Ich übertreibe.

Aber was man an Wegen und Spritkosten auf sich nimmt, ist schon beachtlich, wenn man bedenkt, dass es sich nicht um Unterwasserboxen handelt sondern um Fußball, den Sport schlechthin in Deutschland - an jeder Ecke ein Bolzplatz und mehr als 25.000 Vereine - da muss es doch auch ein Team in der Fremde geben. Gibt es, aber leider ohne den Michael, den man noch aus der C-Jugend kennt. Und dann zieht man eben mehrere Stunden Autofahrt den Unbekannten aus der neuen Nachbarschaft vor. Sich eine andere Mannschaft mit wildfremden Mitspielern zu suchen ist nicht jedermanns Sache, auch nicht meine. Es ist eben doch was anderes ob man mit denen oder denen spielt.

Gemeinsames Training gibt es bei dieser Konstellation nicht. Jeder hält sich auf seine Art fit oder eben nicht. Die meisten Mitspieler kommen einfach nur Woche für Woche zum Spiel und hoffen darauf, dass sie konditionell mithalten können. Teambuilding gibt es nur am Spieltag oder beim Saisonabschluss. Man trifft sich 1 Stündchen vor den Spielen am Sportplatz oder am Treffpunkt für die Auswärtsspiele. Oft fährt man auch direkt zum Schauplatz des Auswärtsspiels, weil es einfach kürzer ist, als zuerst in den alten Heimatort zu fahren. 30 Minuten vor Anpfiff trifft man sich in der Kabine und dann geht es auch gleich aufs Feld. Hinterher Duschen, ein schnelles Bier und der übliche Dialog zwischen Spieler und Trainer:
Spieler: “Tschüß.”
Trainer: “Dann bis nächste Woche.”
S.: “Nee, da kann ich nicht, tut mir Leid. Dann in zwei Wochen.”
T.: “Da ist spielfrei, dann sehen wir uns in drei Wochen zum Heimspiel.”
S.: “Puh, da weiß ich noch nicht wegen Arbeit...wir telefonieren?”
T.: “Wir telefonieren.”

Dann schwingt man sich zurück ins Auto und zack, ist ein ganzer Tag des Wochenendes im Arsch. So schnell kann es gehen. Aber wenn der Trainer nicht immer nur nach Leistung aufstellt und du sicher weißt, dass du spielst, einfach weil du den weiten Weg hinfährst, ist das doch irgendwie bequem und man hat das gute Gefühl schon vor Spielbeginn etwas für seine Mannschaft getan zu haben.


Dienstag, 4. Dezember 2012

Den Cashflow reinvestieren - damals und heute


Der BVB hat einen Trainer, der total erfolgsbezogen mit Dortmund Meister werden will, der Präsident spricht bei Neuverpflichtungen von einer "Erhöhung des Anlagevermögens" und dem Manager unterstellen die Fans "kühlen Geschäftssinn". Borussia Dortmund im Jahr 2012? Nicht wirklich! Borussia Dortmund Anfang der Neunziger schon eher.

Im Archiv des Spiegels lässt es sich ja hervorragend stöbern und so bin ich auf zwei Texte vom März 1993 und Dezember 1994 gestoßen, die die Situation beim BVB zur damaligen Zeit beschreiben:
Die Artikel werfen einen kritischen Blick auf die Dortmunder und verurteilen die Kommerzialisierungstendenzen im Fußball. Der BVB, gerade auf dem Weg nach oben nach guten Platzierungen in der Bundesliga und dem Einzug ins Finale des UEFA-Pokals 1993, und immer darauf bedacht, die Mannschaft mit Serie A-Spielern zu verstärken. Die drei oben angesprochenen Akteure Hitzfeld, Niebaum und Meier sind da schon seit 1991 zu dritt am Werk und basteln an einer erfolgreicheren Borussia. Und sind damit ja bekanntermaßen nicht ganz unerfolgreich. Mit viel Geschäftssinn geriert man sich als wachsendes Unternehmen und betreibt offensives Marketing. Dem Spiegel ist das Gebaren der Dortmunder ein Dorn im Auge. Viel zu erfolgs- und finanzorientiert, zu weit weg von den echten Fans. Hitzfeld wirkt so seriös, "als sei er vom Personalberater irrtümlich auf den Fußballplatz geschickt worden". Die Fans in der Fußgängerzone meinen: Die Liebe des Trainers Hitzfeld zum Verein laufe wohl "über den Gehaltsstreifen". Niebaum hat bei der Verpflichtung von Matthias Sammer lediglich den Cashflow der Borussia reinvestiert.

Man kommt zwar im Spiegel nicht umhin den Dortmundern Erfolg zu attestieren, allerdings wird ein negatives Bild vom Verein gezeichnet - vom "Stollen-Darwinismus", der die Mannschaft beherrschen würde, fabuliert der Spiegel da.

Im Vergleich zu heute wirkt das zunächst wie die turbokapitalistische, längst abgeschüttelte Vergangenheit. Präsident Rauball und Geschäftsführer Watzke haben den Verein saniert und wirtschaften vorsichtig optimistisch, Sportdirektor Susi Zorc, der vom Platz ins Büro gewechselt ist, verstärkt die Mannschaft mit jungen Talenten und an der Linie steht das genaue Gegenteil vom kühlen Ottmar Hitzfeld, Jürgen Klopp, der Pöhler, der "seine Jungs" nach vorn peitscht und mindestens genauso abgeht, wie die Dortmunder Fans. Nach außen wirkt das viel sympathischer.

Aber wenn man genauer hinschaut, liegen die Unterschiede der Dortmunder von heute und 1993 doch eher in der Art der Außendarstellung. Vor 20 Jahren dachte man sich: wir kommunizieren jetzt mal wie ein Großunternehmen und bauen ein paar Wirtschaftsvokabeln in unsere Interviews ein und natürlich war auch das Ziel ein anderes - Titel! Nach außen hin wollte man Vertrauen über Leistung und Erfolg aufbauen. Aber das klappt eben nur solange, wie man auch erfolgreich ist.

Heute gibt man sich in Dortmund und auch anderswo in der Bundesliga viel volksnäher und bescheidener. Wenn es um den Schuldenabbau im Verein geht, beschreibt Geschäftsführer Watzke der breiten Öffentlichkeit den Ernst der Lage nicht mit Zahlenkolonnen sondern erzählt lieber die kleine Anekdote, wie er einem Mannschaftsbetreuer 50 € zustecken musste, damit die Trikots gewaschen werden können. Wirkt doch viel heimliger als den Cashflow zu investieren? Und Michael Zorc, der Sportdirektor (Manager hört sich so nach Geld an), blättert für ein junges Talent auch mal 17 Mio. € hin. Und innerhalb der Mannschaft gibt es vermutlich auch Konkurrenzdenken, auch wenn nach außen alles recht harmonisch wirkt.

Die Dortmunder sind mehr denn je ein wirtschaftendes Unternehmen mit Businessplan, Cashflow, Stadionerlebnis für die ganze Familie und allem Drum und Dran - nur lassen sie uns das nicht mehr so sehr spüren.

Was ich damit sagen will? Auf keinen Fall will ich den BVB hier wegen seiner Außendarstellung verunglimpfen, die Kommunikation nach außen passt vor allem hervorragend zu handelnden Personen und Verein. Aber sie soll eben auch Sponsoren gefallen und man sollte sich immer bewusst sein, dass alles, was wir von den Dortmundern hören und sehen auf einer wie auch immer gearteten Kommunikationsstrategie beruht. Wir nehmen es ihnen gern ab und empfinden ein warmes Kribbeln in der Magengegend, wenn die Dortmunder Jungs Real Madrid schlagen. Mir gefällt diese Borussia besser als die der Neunziger und ein Bundesligist ohne Businessplan, der geführt wird die Bäckerei nebenan, wäre wohl kaum denkbar. Oder?

Aber die alte erfolgsgierige, Global-Player-Borussia passte vielleicht auch besser zu den Neunzigern, als sich jedermann auf Tatort-Onkel Krug verließ und fleißig T-Aktien zeichnete, um endlich auch schnell reich zu werden. Und wenn ich mich an meine Grundschulzeit Mitte der Neunziger erinnere, muss ich sagen, dass das Konzept von damals aufging - meine Mitschüler waren fast ausschließlich in Schwarz-Gelb gekleidet - 600 km von Dortmund entfernt. Aber diese Fanbasis war vergänglich - sie kaufte sich zwar Trikots und Schals, wandte sich aber später wieder vom Verein ab. Auch deshalb scheint der heutige Dortmunder Ansatz vielversprechender, denn es soll eine emotionale Bindung zwischen Fan und Verein aufgebaut werden. Der Verein als Wohlfühlmarke - das ist auch State-of-the-Art in der heutigen Werbewirtschaft (man denke an die neue Strategie eines Herstellers brauner Brause).

Wie gesagt, ich möchte hier nicht an den Dortmundern herummäkeln, auch ich finde sie sehr sympathisch. Die Spiegelartikel hingegen sind starker Tobak - ich konnte leider nicht herausfinden, welcher Journalist sich dort austoben durfte. Das Auftreten der Dortmunder passte, von heute aus betrachtet, sehr gut in die Zeit und der vorübergehende Erfolg gab dem BVB recht.