Ein Jahr im Kreis
Ich spiele Fußball.
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Die lange Karriere des Miroslav Klose in der Nationalmannschaft.
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120minuten
Lange Fußballtexte wechselnder Autoren. Von und mit mir.
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Sonntag, 7. Dezember 2014

Verein ohne Namen

Update, 8.12.2014, 12:30 Uhr: Beim kommenden Europa League Spiel gegen Kiew und vorerst bis 15. Dezember darf Steaua wieder Steaua heißen und in der Winterpause eine endgültige Einigung zu den Namensrechten aushandeln:





Ich schiele ja immer so ein bisschen herüber auf den rumänischen Fußball, der viele Geschichten zu erzählen hat, denen es selten an Kuriosität mangelt und hinter denen oft halbseidene Machenschaften vermutet werden. So auch bei einer Gerichtsentscheidung vom Mittwoch.

Wie wäre es, wenn der FC Bayern München sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr FC Bayern nennen dürfte, weil der Freistaat Bayern etwas gegen die Benutzung seines Namens durch ein Unternehmen hat? So ähnlich aber mit jeder Menge Irrungen und Wirrungen ergeht es dem erfolgreichsten Klub Rumäniens Steaua Bukarest gerade. Der darf nämlich seinen Markennamen Steaua bis auf Weiteres nicht mehr nutzen.

Hintergrund ist ein Streit mit dem gleichnamigen Armeesportverein aus dem der heutige Fußballklub hervorging. Zu Zeiten Ceaușescus war Steaua der Verein der Armee und profitierte von vielen einflussreichen Verbindungen, die die Nähe zu den bewaffneten Kräften mit sich brachte.

1996 sicherte sich der Armeesportklub die Namensrechte an "Steaua Bukarest". Im Jahr 1998 wurde die prestigeträchtige Fußballabteilung vom Verein gelöst und nach und nach von Investoren übernommen. George "Gigi" Becali übernahm sehr wahrscheinlich um 2003 herum den Verein, in dem er mehr als 50 % des Vereins erwarb und geriert sich seitdem als Sprachrohr Steauas (auch wenn er derzeit keine offizielle Position bekleidet), bestimmt die Trainer und trifft auch mal Entscheidungen der Kategorie "wir verpflichten ab sofort keine ausländischen Spieler mehr".

George Becali
Gigi Becali - By Vlad Hogea at ro.wikipedia
(cropped frop ro:File:Iasi01.jpg)
[Public domain], via Wikimedia Commons
Becali ist eine umstrittene öffentliche Person. Derzeit verbüßt er eine Haftstrafe, aufgrund von kriminellen Machenschaften beim Verkauf von Land Ende der 90er-Jahre. Vertreter des rumänischen Verteidigungsministeriums, dem der Armeesportklub unterstand, waren ebenfalls verwickelt.

Dieser Filz soll es Becali ermöglicht haben, 2004, die Marke "Steaua Bukarest" für seinen Verein eintragen zu lassen - trotz der bestehenden Eintragung. Somit konnte Becalis Verein das bekannte Logo, die Farben und den Namen für seine Zwecke nutzen, obwohl der Armeesportklub sich die Marke bereits 1998 hatte schützen lassen. Das Verteidigungsministerium tolerierte diese Vorgehensweise.

Ab 2011 versuchte der Armeesportklub dann gegen die Nutzung vorzugehen. Mehrmals scheiterte man vor Gericht und klagte sich durch die Instanzen. 2013 nutzte der Armeesportklub den Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit des Markenschutzes von 2004 und holte sich die Rechte an seinem Namen zurück. Das höchste rumänische Gericht entschied am 3. Dezember 2014, dass die Namensrechte beim Armeesportklub und nicht bei Gigi Becalis Fußballverein liegen und somit Name, Logo und Farben nicht mehr weiterbenutzt werden können. Revision ausgeschlossen. Möchte man also beim erfolgreichsten Verein Rumäniens weiter unter dem bekannten Namen auflaufen, muss man sich auf Lizenzgebühren für die Nutzung der Marke einigen, die man sich vor 10 Jahren einfach angeeignet hatte.

Im aktuellen Spielbetrieb sorgt das natürlich für allerhand Absurditäten. U. a. Emanuel Roşu war beim sonntäglichen Heimspiel des Vereins ohne Namen und hielt via Twitter auf dem Laufenden:











 

Donnerstag, 4. September 2014

Wohin führt das alles?

Kann man Fan der Nationalmannschaft sein, fragt Alex Schnarr bei 120minuten? Er vergleicht das Fan-sein bei der Fußballnationalmannschaft und bei einer Vereinsmannschaft.

Auf der einen Seite die Vereinsfans, die ihr Team in fast schon religiösem Ausmaß verehren und in ihren Tempel, das vereinseigene Stadion, pilgern.

Auf der anderen Seite die Unterstützer des Nationalteams, die die DFB-Elf als Vertreter Deutschlands wahrnehmen und deren offizieller Fan Club Nationalmannschaft von einem großen Brausekonzern gesponsert wird, der von oben gute Laune im Stadion verschreibt.


Ich frage mich, ob die "Fankultur" wie sie rund um die Nationalmannschaft etabliert wurde, nicht auch die Fankultur des Spitzenfußballs auf Vereinsebene werden könnte. Würde nicht jeder Bundesligist eine freundliche von oben verordnete Choreo, kritischen Äußerungen und z.T. derben Gesängen vorziehen?

Stört die uns geläufige Fankultur im Vereinsfußball nicht das Fußballgeschäft?
Sich in Vereinsbelange einmischende Fangruppen und das familienfreundliche Stadionerlebnis gefährdende Meinungsäußerungen sieht vermutlich kein Bundesligist gern. Wieso sollte ein Verein diesen Fans das Leben leicht machen oder sie sogar unterstützen? Zur Kernzielgruppe gehört diese überschaubare Anzahl an Sympathisanten eh nicht mehr. Die Zielgruppe sitzt auf den teureren Plätzen oder vorm Fernseher und möchte in erster Linie - leicht verdauliche Unterhaltung. Sollte ein Bundesligist dann besonders engagierten Fans nicht lieber Steine in den Weg legen als Türen zu öffnen? Oder versuchen mit einem vom Verein gesteuerten Fanklub den Support in geregelte Bahnen zu lenken. Dann wäre es wohl auf Dauer nicht mehr so weit her mit der religionsähnlichen Verbindung zwischen Fan und Verein.

Ich sehe diese Entwicklung nicht als den Untergang der Fußballwelt an. Ich sehe sie als logische Folge der Entwicklung der Bundesliga hin zu einer Interessengemeinschaft mittelständischer profitorientierter Unternehmen. Mir graut aber dennoch vor dem Irgendeinsponsor-Fanclub wie sie nach Vorbild des DFB-Teams etabliert werden könnten. Fankultur wie man sie heute kennt, wäre dann wohl nur noch ab Liga 3 abwärts zu finden.

Male ich hier gerade den Untergang der Fankultur in der Bundesliga im dunkeltsen Schwarz oder sind die Tendenzen längst da? Oder gibt es gar Vereinsanhänger, die ein ganz und gar gegenläufiges Gefühl haben oder sich niemals von ihrem Verein abwenden würden? Fragen über Fragen.


Montag, 4. August 2014

Ranrobben - Ein Jahr im Kreis #9

"Genesung" wäre das falsche Wort, um den Heilungsprozess meiner Knieverletzung zu beschreiben. "Abklingen" trifft es eher. Ganz langsam, kaum spürbar konnte ich mein Bein wieder besser bewegen. Über Wochen hinweg zog sich dieser Prozess bis zur (vermutlich) vollständigen Wiederherstellung meines Ausgangszustands, den ich als "halbwegs beweglich, konditionell mangelhaft" beschreiben würde.

Während ich mich auf mein Leid konzentrierte, wurde aus dem schlechten Start eine Gurkensaison, bei der schon im Oktober abzusehen war, dass es keinen Grund geben würde, sich ihrer, sagen wir in fünf Jahren, nochmal zu erinnern. Nichts von dem, was man sich vorgenommen hatte, schien einzutreten. Von wegen Spitzengruppe oder oberes Mittelfeld. In sieben Spielen war gerade mal ein Sieg gelungen. Peinlich.

Die genauen Gründe dafür, konnte ich nicht ergründen, denn "ich hatte keinen Kontakt zur Mannschaft". Es ist ja schon freaky genug, wenn man stundenlang durch die Gegend juckelt, nur um in der Kreisklasse zu spielen. Aber als humpelnde psychologische Unterstützung den Weg auf sich nehmen, wäre wohl einer Erklärung der eigenen Unzurechnungsfähigkeit gleichgekommen. So blieb mir nur die Ferndiagnose und meine wenigen Eindrücke von den Spielen, denen ich beigewohnt hatte.

Unter fehlender offensiver Durchschlagskraft hatten wir schon in den Vorjahren gelitten, das war nicht neu. Meine Mutmaßungen drehten sich um die Abwehr, die in dieser Saison von einem 18-Jährigen zusammengehalten werden sollte. Er und seine fehlende Erfahrung waren das Problem - da war ich mir sicher. Das Schöne an solchen Behauptungen im Amateurfußball: Niemand kann sie überprüfen. Keine Statistiken. Nirgends. Karten, Einsätze und Tore werden halbwegs zuverlässig gezählt, dann ist aber auch schon Schluss.

Damit ist Tür und Tor offen für die wildesten Theorien, wer wohl auf dem Platz für Erfolg/Misserfolg verantwortlich ist. Ich mochte meine Theorie von dem die Abwehr destabilisierenden Jungspund, der nicht mit uns redete und mir, das muss man sich mal vorstellen, das Kopfballspiel überließ. Ich war es gewohnt, dass meine Mitspieler das übernahmen, da man mir auf 100 m gegen den Wind ansah und ansieht, dass ich einen Fußball, wenn überhaupt, kontrolliert und getimt nur mit dem Fuß spielen kann. Alles andere - off limits.

Bei einer Saison von der man schon im Oktober wusste, dass sie wohl mit einem Platz im Mittelfeld der Tabelle enden und sich mit vielen zähen Spielen fortsetzen würde, stellt man sich natürlich die Motivationsfrage. Warum mache ich das überhaupt? Ist man verletzt und betrachtet das peinliche Treiben nur aus der Ferne, stellt sich diese Frage noch viel mehr. Für mich fiel die Antwort relativ eindeutig aus: ich wollte Sport treiben und außer Fußball kann ich nicht viel. Was blieb mir also anderes übrig, als mir einen Plan zu überlegen, um zurückzukommen.

Anders als im Leistungssport stellt sich in der Kreisklasse das Zurückkommen, das an die Mannschaft herankämpfen, viel einfacher dar. Von wegen, in Form kommen dauert so lange, wie die Verletzungszeit. Sobald man signalisiert, dass das Bein wieder halbwegs mit dem Oberschenkel verwachsen ist, wird man mangels Konkurrenz im Kader wieder auf den Platz geworfen. Eine Kondition, die es galt wieder aufzuholen, um den Vor-Verletzungszustand wiederherzustellen? Ja, so etwas gibt es, aber das Ausgangslevel vor der Verletzung, das es wieder zu erreichen gilt, ist so minimal...lassen wir das.

Auf jeden Fall rechnete ich mir gute Chancen aus, wieder zurück zu kommen und das besser als je zuvor. Durch regelmäßiges Training am Ball. Das wäre der Schlüssel. Kondition war nicht alles, wie ich ja schon festgestellt hatte. In mir reifte der Gedanke, mir ein regelmäßiges halbwegs koordiniertes Training zu organisieren. Mit Bällen, Mitspielern, Hütchen zum Umschießen, stinkenden zerfetzten Leibchen und dem ganzen Kram. Die Dynamik in der Trainingsgruppe würde schon dafür sorgen, dass ich regelmäßig etwas tun würde und nur so konnte ich mich Wettkampfbedingungen annähern. Da half kein Gejogge durchs Unterholz oder Gestocher auf dem Bolzplatz. Training muss sein.

Man hört vielleicht heraus - mit jeder Woche meiner Genesung wuchs meine Entschlossenheit nochmal "anzugreifen". Durch ein bisschen Disziplin musste es ja wohl selbst für mir möglich sein, in einem Kreisklassenfußballspiel gut auszusehen.

Mein innerlich über Wochen gereifter Plan entlud sich in einer Hauruck-Aktion. Ich öffnete an einem Dienstagnachmittag die Internetseite des Stadtteilvereins, der mich bereits vor einigen Jahren hatte mittrainieren lassen. Zufall 1: dienstags war Training, was genau genommen kein großer Zufall war. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich behaupten, dass 98 % aller Amateurvereine am Dienstag und Donnerstag trainieren. Montag und Freitag passen nicht wegen der Nähe zu Spieltagen, würde man den Mittwoch wählen, müsste man montags oder freitags trainieren, um zwei Einheiten pro Woche zu schaffen. Zufall 2: Auf der Internetseite war die Telefonnummer von Trainer Maik Wortkarg (Name geändert) zu finden, den ich sogleich anrief:

Ich (aufgeregt): Ja, hallo, äh, hier ist Endreas. Ich habe gesehen, sie trainineren die 4. Mannschaft. Ich wollte mich so ein bisschen fit halten, bin Fußballer, hab immer gespielt im Verein und so. Ich spiele aktuell noch in der Heimat, also da wo ich herkomme, also nicht hier, aber ich könnte mir vorstellen, wenn alles passt, und ihr, äh, jemanden braucht, dann wäre ich gern dabei, würde mich jetzt aber erstmal fit halten. Geht das, dass ich einfach mal beim Training rumkomme und mittrainiere und dann schauen wir mal? 
Maik Wortkarg (wortkarg): Ja, komm einfach vorbei. 
Ich (euphorisch): Ok, dann bis später! 
Maik (ruhig): Hm.

Ich war also im Geschäft! Die Euphorie musste ich ausnutzen und machte mich auf den Weg zum Training. Vieles fand ich noch so vor, wie bei meinem letzten Stelldichein. Die okayen aber etwas zu kleinen Umkleiden, die bröckelnde alte Stehtribüne. Aber, o Graus! Wo war der schöne Hartplatz hin? Nun könnte man meinen, dass ein Hartplatz nicht gerade ein erstrebenswerter Traininguntergrund ist. Woche für Woche schürfte man sich die Knie auf und der Ball dotzt beim Aufspringen wie ein Flummi. Muss man nicht gut finden. Sehe ich eigentlich auch so.

Bei meinen letzten Trainingsaktivitäten hatte ich aber auch die heilsame Wirkung des Hartplatzes kennengelernt. Wer unter der Woche den Ball auf dem unnachgiebigen Untergrund beherrschte, für den war ein Rasenplatz am Wochenende eine Art Erleichterung. Nicht dass mich jemand falsch versteht und jetzt denkt, mir wäre durch die Übungseinheiten auf gewalzten Geläuf kein Ball mehr versprungen, aber die grüne, weichere Spielunterlage am Wochenende fühlte sich dadurch weniger feindselig an.

Weg war er also der Hartplatz. Ersetzt durch einen seelenlosen, stumpfen Kunstrasen, auf dem man sich die Knie genauso aufschürft, der aber ansonsten einen immergrünen, stets gleich gut bespielbaren und perfekt getrimmten Rasenplatz simulierte. Ein Trugbild zumindest was die bevorstehenden Pflichtspiele und die mich dort erwartenden Rasenbedingungen anging.

Beim Betreten des Sportplatzgeländes schwang natürlich auch etwas Aufregung mit. Würde man jemanden wiedererkennen? Wie wird der Empfang ausfallen? Und vor allem: Hoffentlich falle ich nicht durch zur Schau gestellte fortgeschrittene Unfähigkeit auf.

Die Sache mit dem Wiedererkennen konnte ich für mich relativ schnell mit einem klaren Nein beantworten. Komplett neue Gesichter waren hier in der Kabine und auf dem Platz versammelt. Zunächst probierte ich noch, die Langform meiner Vereinsfindung zu erläutern: Früher schon mal hier gewesen, und jetzt verletzt, will wieder fit werden und könnte mir Wechsel vorstellen. Das Desinteresse an meinen ausschweifenden Erläuterungen nahm ich nach wenigen Anläufen zur Kenntnis und beließ es ab da bei einem beherzten "Endreas".

die bröckelnde Stehtribüne kam mir bekannt vor
Symbolbild mit freundlicher Genehmigung von Sasa 1)

Das allgemeine Interesse der Trainingspartner an ihren Mitmenschen schien sich generell in sehr engen Bahnen zu bewegen. Es gab etwas Grüppchenbildung und in ihnen gelegentliche Kommunikation. Ich interpretierte das weniger als Feindseligkeit sondern vielmehr als Ausdruck der großen Fluktuation was die Trainingsteilnehmer anging. Die meisten Kandidaten schienen sich gerade so beim Vornamen zu kennen. Zu oft schien hier das Personal zu wechseln. Niemanden interessierte es zunächst, wenn ein Neuer "jetzt mal mittrainierte".

Ich wurde erstmal in die "Trainingsgruppe 2" für Mannschaft 3 und 4 gesteckt. Ein gefühlter Abstieg. Bei meinem ersten Anlauf vor Jahren hatte es nur 2 Mannschaften und eine Trainingsgruppe gegeben. Auch wenn ich damals merkte, dass die Mitspieler mir überlegen waren - so schlecht aufgehoben fühlte ich mich dort nicht. Man wächst oder schrumpft ja schließlich an seinen Aufgaben und im Training schlecht aussehen, war für mich in gewisser Weise okay gewesen. Schließlich lief ich außer Konkurrenz.

Jetzt also Training mit Team 3 und 4 - zumindest dienstags, denn da hatte man sich explizit verabredet. Am Donnerstag "musste" dann mit der anderen Trainingsgruppe trainiert werden. Ein Umstand den ich fortan öfter ausnutzte und am Donnerstag zum Training anrückte. Konnte ich da Genervtsein gepaart mit Mitleid ausmachen, wenn ich in die Gesichter der Mitspieler aus Mannschaft 1 und 2 vor dem Training blickte? Ein "Kannst du dich eigentlich bei deinem Gestümper sehen?" oder ein "Schämst du dich denn gar nicht, an deiner Stelle würde ich mich in einem tiefen Loch verkriechen oder bei der nächsten Thekenmannschaft als Auswechsler anheuern?"

Selbst wenn ich solche inneren Einstellungen (neben der üblichen Gleichgültigkeit) in den Gesichtern hätte ablesen können - ich schaute darüber hinweg und es war mir letztendlich auch egal, was irgendwelche Amateurkicker über mich dachten. Sollten mal schön vor ihrer eigenen Haustür kehren. Bei meinem letzten Trainingsintermezzo hatte man noch stramm den Aufstieg angepeilt. Jetzt, Jahre später, dümpelte man immer noch in der gleichen Liga herum. Nicht selten hörte man die Mitspieler von den ach so starken gegnerischen Teams und der schwierigen Saison sprechen. Würde wohl wieder nix werden mit dem Aufstieg trotz 3 Paar Schuhen, die den Wetter- und Stimmungsverhältnissen entsprechend vor jedem Training ausgewählt wurden. Hatte ich schon erwähnt, dass ich solche Eitelkeiten in guten Momenten dulde, sie mir aber sonst gehörig auf den Sack gehen? Naja, musste ja jeder selber entscheiden, wie er sich der Lächerlichkeit preisgab. Ich eben mit meinem konditionellen Underperformen und gurkigen Flanken und die mich belächelnden Typen mit Möchtegernprofiattitüde (diese beiden Gruppen überschnitten sich, seltsam) in der obersten Stadtklasse, oder wie auch immer das hieß, wo sie spielten.

Jedenfalls war Donnerstag für mich immer Zahltag. Auch wenn keiner wirklich etwas sagte, hier wurden alle meine Schwächen schonungslos aufgedeckt. Ich war bei irgendwelchem 5-gegen-3-Quatsch peinlich schnell aus der Puste und folglich gefangen in meiner Rolle als nach dem Ball häschender Jogginghosenzombie. Bei Sprintübungen und dem ganzen Intervallsprint-Gedöns ging mir dann nicht nur die Puste aus sondern auch meine Langsamkeit kam gut sichtbar zum Vorschein. Jeder, aber auch wirklich jeder, schien schneller zu sein als ich. Und das obwohl Schnelligkeit eine meiner Grundeigenschaften (gewesen) war. Blöd, wenn einem fast jeder Mitspieler auf 25 m 5 m abnimmt und selbst Enddreißiger einen locker in die Tasche stecken. Hart.

Die nächste Steigerungsform waren die Übungen, die mit diversen Läufen über das halbe Spielfeld, Flanken und Torabschlüssen zu tun hatten. Meine Langsamkeit fiel dabei nicht so sehr auf. Aber meine Unfreshness, mein schwacher Torabschluss und meine eingerosteten Füße machten diese Übungen nicht nur für mich zur Qual, sondern auch für diejenigen, die mit mir in einer Gruppe waren und denen ich regelmäßig an den 16-er kullernde Flanken "lieferte" und deren Flanken ich wiederum entweder gar nicht erst erwischte (Kopfballspiel) oder kläglich vergab (Ball kullert 3 m am Tor vorbei).

In den Trainingsspielen kam ich mir nicht ganz so hilflos vor, lief viel, beackerte eine Außenbahn und bot mich an. Die Mitspieler, nicht nur die mit Möchtegernprofiattitüde, ignorierten mich aber verständlicherweise. Meinen Kredit hatte ich schon während der Übungen aufgebraucht. Und so bekam ich relativ selten den Ball und konnte das Abschlussspiel eines jeden Trainings als Laufeinheit abhaken.

Was mir einigermaßen lag, waren die Passübungen auf engstem Raum: Nimm den Ball an, spiel einen kurzen Pass und laufe über verschlungene Wege irgendwohin. Wie oft hatte ich solche Übungen in jungen Jahren machen müssen, fest davon überzeugt, dass sie mich für meine spätere Fußballkarriere stählen würden. Motiviert hatte ich gepasst und lief mal hierhin, mal dorthin ohne den Sinn des Ganzen in Frage zu stellen. Ja klar, wer keinen Kurzpass auf 3 m spielen kann, der sollte vom Fußball lassen. Darüber hinaus dachte ich mir, dass, wenn ich die Übungen nur genau genug und motiviert ausführen würde, meinem kometenhaften Aufstieg nichts mehr im Wege stehen würde. Jugendliche Naivität.

In meiner Fußballrealität zählten jetzt andere Werte - Kraft, Ausdauer, Durchsetzungsvermögen. Da nutzten mir meine millimetergenau gespielten Pässchen aus dem Lauf rein gar nichts. Ich schob mir nunmal nicht mit Cruyff & Co. das Bällchen zu. Mein Metier war es eher, hinter hoch weggebolzten Bällen herzuwetzen oder scharf auf Kniehöhe geschlagene Verlegenheitspässe annehmen zu müssen. Nebenbei bemerkt, meine Kurzpassqualitäten möchte ich nicht mit Cruyff & Co. vergleichen. Denn mit den Pässchen aus dem Lauf war es schnell vorbei, sobald ich aus der Puste kam. Also in so ziemlich jeder Situation außerhalb der kleinen Pass-und-Lauf-Übungen.

So wurschtelte ich Woche für Woche donnerstags mit und wurde von den Mitspielern als hoffnungs- aber auch harmloser Geselle betrachtet. Niemand sagte ein böses Wort und ihre Häme, falls vorhanden, verbargen sie zum Großteil vor meinen Ohren und Augen. Ich lies mich in den nächsten Wochen nicht von meinem Ziel, wieder "fit" zu werden abbringen und kam tapfer und regelmäßig zum Training.

Kontrastprogramm war dann immer dienstags angesagt, wenn ich mit "Trainingsgruppe 2" trainierte. Schon als ich das erste Mal zum Aufwärmen auf den Platz kam, erschienen mir die Bewegungen der Spieler aus Mannschaft 3 und 4 seltsam. Seltsam ungelenkt und unkoordiniert. Ungelenker und unkoordinierter als meine eigenen! Mein erster Eindruck sollte sich schon bei der initialen Übung bestätigen. Alle Trainingsteilnehmer standen sich nach dem individuellen Aufwärmen* aufgereiht gegenüber. Sechs auf der einen Seite, sechs auf der anderen - dazwischen ungefähr 5 m Luft. Nun kam ein Ball ins Spiel bzw. sollte ins Spiel kommen. Das Leder sollte einfach nur von Spielerreihe A zu Spielerreihe B gepasst werden, gefolgt von einem kleinen Sprint zur anderen Seite. Das schien den Mitspielern schon relativ viel abzuverlangen. Immer wieder verfehlten die Pässe meilenweit ihr Ziel und Müßiggang stellte sich ein. Die ausbleibenden Sprints zur anderen Seite wurden zumindest durch halbwegs engagiertes Ballholen wieder ausgeglichen. Die Gruppe schien mir nicht sonderlich verwundert über den kläglichen Verlauf dieser doch eigentlich einfachen Übung. Es brandete Applaus auf, wenn mal fünf Pässe hintereinander ankamen.

Die Trainingseinheiten gestalteten sich in Trainingsgruppe 2 dementsprechend zäh. Wie sollte auch ein ordentliches Training möglich sein, wenn man schon an so überschaubaren Aufgaben scheiterte. Alle komplexeren Trainingssituationen waren überaus schwer zu ertragen. Wenn der Ball nicht nur von A nach B gepasst, sondern von A nach B gepasst, dann lang die Grundlinie heruntergespielt und im Anschluss geflankt werden sollte, konnte man kaum einen Spielzug zu Ende bringen. Irgendjemand, ich natürlich eingeschlossen, würde den Ball schon verstolpern.

Das Training mit Gruppe 2 war folgerichtig weniger intensiv, aber fußballerisch, so ehrlich musste ich zu mir selbst sein, war das genau meine Kragenweite. Soll niemand auf die Idee kommen, dass ich da fußballtechnisch irgendwie herausgestochen hätte - außer vielleicht mit meinem linken Fuß. Mit meinen verstolperten Bällen und laschen Flanken war ich hier genau richtig. Nur war es ziemlich schmerzhaft, sich das in der Gesamtheit anzutun. Wenn eine Lusche immer mal wieder die Übung sprengt - in Ordnung. Aber wenn eine Ansammlung davon permanent am Bälleholen ist...

Nichtdestotrotz gewann ich auch diesen Einheiten etwas fußballerisch Wertvolles ab: ab und an kam ja doch mal ein Pass an und gelaufen wurde immer. Ich schaffte es, mehrere Wochen ziemlich diszipliniert hintereinander sowohl Trainingsgruppe 1 als auch 2 einen Besuch abzustatten und baute, so bildete ich mir das ein, nach und nach Kondition und Ballsicherheit auf. Ein gutes Gefühl. Und je länger man dabei war, desto weniger fiel man im Training bei Gruppe 1 mit Gurkenbällen auf. Es schien sich also tatsächlich Besserung einzustellen. Das komisch distanzierte Verhältnis zwischen den Spielern blieb bestehen. So richtig aufgenommen fühlte ich mich nicht. Ich hätte eigentlich mit aggressiven Abwerbungsversuchen hin zur 4. Mannschaft gerechnet, schließlich wurde bei jedem Training über die miserable Personalsituation debattiert. Nicht mal anstandshalber erwähnte man meinen möglichen Transfer zur Gurkentruppe. Aber das war mir egal. Ich war wieder da! Ich würde noch in diesem Jahr wieder in der Kreisklasse spielen! In meiner eigenen Gurkentruppe!


*individuelles Aufwärmen ist eine euphemistische Beschreibung des Dämmerzustands vor Trainings- oder Spielbeginn. Individuelles Aufwärmen geht oft einher mit angetäuschten Laufeinheiten, kraftlosen Schüssen, die dennoch kilometerweit das Tor verfehlen und wichtigen Gesprächen, die sich oft um die Gelage vom vergangenen Wochenende drehen. Individuelles Aufwärmen erfolgt nie zielgerichtet oder unter Anleitung. Es ist, in seiner Gänze betrachtet, eine Art Brownsche Bewegung von Bällen und Beinen, die ziellos über den Platz wabern.




1) Sasa ist Groundhopper und stellt auf seinem Blog seine Bilder aus den Stadien Serbiens vor - die Veröffentlichung hier erfolgt mit seiner Genehmigung - vielen Dank!



Montag, 16. Juni 2014

Lesestoff

Im April war es als ich 120minuten ins Leben rief - eine Seite, die Links zu längeren Texten über Fußball sammeln sollte. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Ich konnte einiges Interesse ausmachen für lange Texte über Fußball im Allgemeinen und für 120minuten im Besonderen.

Dann passierte eine Weile nix. Oberflächlich!

Unter der Oberfläche passierte nämlich eine ganze Menge. Christoph sprach mich an und wir beschlossen, mehr zu machen, als nur eine Linksammlung. Auf 120minuten sollten auch lange Texte veröffentlicht werden - von uns und von anderen Autoren, die Lust darauf haben.

In den vergangenen Monaten wurden Autoren angesprochen, Texte vorbereitet und gefrickelt. Herausgekommen ist dabei eine überarbeitete Version, die nicht nur Texte verlinkt sondern auf der auch publiziert wird. Zum Start ist dort


zu finden.

Ordentlich Lesestoff also für den Anfang. Wir wollen versuchen, monatlich mindestens einen Text zu veröffentlichen. Das Lesen ohne großen Schnickschnack soll dabei im Vordergrund stehen. Als kleines Gimmick können alle Texte auch im ePub- oder mobi-Format für eReader heruntergeladen werden.

Uns interessiert natürlich, wie ihr, die Leser, die Texte und die Aufmachung der Seite findet. Wir freuen uns über jedes Feedback und natürlich übers Weitersagen für den Fall, dass 120minuten euch gefällt.


Montag, 19. Mai 2014

Deutscher Fußball ist nicht ganz so gut wie gedacht.
Oder doch? Oder nicht? Hach!

Eigentlich war alles klar nach dem deutsch-deutschen Champions League Finale in London: Die Bundesliga ist die stärkste Liga der Welt und auf dem besten Weg, die spanische Hegemonie zu brechen. Die englischen Vereine waren da schon lange ausgeschieden. Im Achtelfinale war Schluss für den letzten Premier League-Vertreter. Auch wenn die Klubs von der Insel weiterhin und auf Jahre hinaus ein Vielfaches der Einnahmen der Bundesligisten erhielten/erhalten/erhalten werden - die Premier League war nur noch reif für die Insel.

Die Bundesliga war obenauf. Doch dann, im Herbst 2013, sah das wieder ganz anders aus:
Siebenmal haben deutsche und englische Teams bisher in der Gruppenphase gegeneinander gespielt, fünfmal siegten die Briten.
Die Premier League also wieder ganz oben. Aber dann schon wieder irgendwie doch nicht mehr. Im Viertelfinale der Königsklasse standen je zwei deutsche und englische Klubs, im Halbfinale je einer. Bundesliga und Premier League nun also gleichauf!

Indessen sicherte sich ein spanisches Team den Titel in der Europa League und zwei Klubs aus der Primera Division treffen im Finale der Champions League aufeinander. Damit ist es jetzt, erstmal, bis auf Weiteres, glasklar - die spanische Liga ist die beste der Welt - schon immer gewesen und sowieso.

Achterbahn
Ständiges Auf und Ab zwischen 
den Ligen (Symbolbild), 
Achterbahn von Tepes1983 bei Flickr
Aber irgendwann, irgendwann ist die Bundesliga dran, weil die Klubs wirtschaftlich so gut aufgestellt sind. Denn lange halten die spanischen Klubs ihre Schuldenkonstrukte nicht mehr aufrecht und wenn das Financial Fairplay erst greift und überhaupt. Auf lange Sicht ist die Bundesliga die Nummer Eins.

Und bis dahin schauen wir von Monat zu Monat, wer mal gegen diesen, mal gegen jenen Verein gewinnt und fragen uns, welche Liga denn nun gerade die tollste, stärkste, beste ist, immer danach lechzend, dass sich ein Spieler, Trainer oder Bruder eines Bekannten eines ehemaligen Regionalliga-Co-Trainers dazu versteigt, in einem Nebensatz die magischen Worte fallen zu lassen:

Die Bundesliga ist die stärkste Liga der Welt.


Dienstag, 15. April 2014

Riss - Ein Jahr im Kreis #8


Regungslos sitze ich minutenlang auf meinem kleinen Fleckchen und starre ins Leere. Vor mir, neben mir, meine Mitspieler in der Kabine. Es wird gesprochen, aber ich höre nicht hin. Ich denke gar nicht daran, mich jetzt umzuziehen - in dieser beschissenen engen Kabine. Ich kann mich nicht bewegen. Die Minuten vergehen und vor mir, neben mir zwängen sich die Mitspieler durch, wollen nach draußen, machen Scherze. Ich habe keine Lust. Ich fange ganz langsam an, mich umzuziehen, höre wieder auf. Scheiße.

Die Kabine wird leerer. Ich habe immer noch mein Trikot an, als ein Großteil der Mannschaft schon draußen ist, ein Bier trinkt, die heutige Niederlage abhakt. Ich starre auf mein Knie, das dick ist, wie eine Fußgängerampel. So eine verdammte Scheiße! Ich spüre, dass da etwas absolut nicht in Ordnung ist und ich kaum laufen geschweige denn das Bein anderweitig bewegen kann.


Die Ansetzung war wenig verheißungsvoll. Der Leser erinnert sich vielleicht an die eingangs erwähnte Tretertruppe, die nun wiederum auf uns wartete. Das einzig Interessante an dem Spiel war das Stadion. Normalerweise trug unser Gegner seine Heimspiele auf dem Platz in seinem Heimatort aus. Dieser Ground war relativ unspektakulär - mal abgesehen von einem modrigen Schwimmbecken, das gleich neben dem Grün lag und einem steilen Abhang an einer der beiden Grundlinien, der sich hervorragend für Zeitspiel eignete. Schickte man den Ball mit ausreichend Schmackes ins Toraus, glich die anschließende Ballholaktion einem alpinen Abenteuer im Kleinen - inklusive Basislager auf 800 m. Wieviel seiner Lebenszeit ein Kreisklassenspieler wohl ins Gespräch vertieft auf die Wiederbeschaffung des Spielgeräts wartend verbringt?

Der Platz, der heute bespielt werden sollte, war dagegen von ganz anderer Beschaffenheit. Statt auf eigenem Geläuf, spielte man im benachbarten Kaff, in dem sich unerwarteterweise ein feiner Rasenplatz umgeben von mächtigen Naturtribünen befand. Mehrere Meter hoch ist die von Gras bewachsene natürliche Stehtraverse, die an drei Seiten das Spielfeld umgibt. Ein Banause würde sich bei dem aufgetürmten Grün wohl an einen Deich erinnert fühlen. Bei einem Fußballer kommt selbst in der Kreisklasse bei diesem Anblick ein bisschen Stadionfeeling auf.

Die Spielstätten, an denen man sonst verkehrt, sind normalerweise eher unspannender Natur. Ein Sportplatz gleicht dem anderen auf den Dörfern. Meistens gibt es ein zweckmäßiges Funktionsgebäude Marke “DDR-Flachbau” und einen schmucklosen Platz. Obligatorische Geländer umsäumen das Grün und halten die Menschenmassen davon ab, bei der Betrachtung des wöchentlichen Ballspiels aus Übermüdung nach vorn und womöglich noch aufs Spielfeld zu kippen.

Ein “Erlebnis Stadion” kommt dabei nie so richtig auf, auch wenn inzwischen jeder Kreisligist seinen piefigen Sportplatz in “örtlicher Handwerker”-Arena umbenannt hat. In den kleineren Käffern wirkt der Platz manchmal wie eine umfunktionierte Kuhwiese. Abseits des Spielbetriebs scheint Ackerbau und Viehzucht zu regieren. Anders kann man sich das unebene Geläuf und die Spontanvegetation in Form von mannigfaltigen Blümchen in einigen Ecken kaum erklären. Direkt hinter dieser Art von Plätzen ist das Dorf dann auch meist zu Ende und agrarwirtschaftlich genutzte Flächen schließen sich an. Das verstärkt natürlich beim Betrachter den Verdacht, dass Bauer Randers wochentags das Gatter öffnet und ein paar Wiederkäuer kostenneutral die Grasmahd übernehmen lässt.

Eines muss man den Plätzen aber lassen - man darf fast immer auf Naturrasen umhertollen. Ein paar Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, aber Asche oder Kunstrasen findet man nahezu nie vor. Dann eher noch einen ehemaligen Rasenplatz, der aufgrund von unterlassener Pflege und/oder zu vielen Spielen zu einem spärlich bis garnicht mit Gras bewachsenem “Dreckplatz” verkommen ist. Je nach Bodenverhältnissen ist das Geläuf dann mal sandig und mit kleineren Gesteinsbrocken versetzt, mal vom ständigen Spielbetrieb festbetonierte Muttererde.

Die heutige Spielstätte verfügt nicht nur über von sattem Grün bewachsene Traversen sondern auch über einen mehr als respektablen Rasenplatz. Darüber hinaus trägt das Stadion noch seinen originären Namen aus Zeiten der SED-Herrschaft und verweist damit noch heute auf einen von “faschistischen Banditen ermordeten" VOPO. In den 50ern erbaut, strömten einst die Massen in das Rund um nicht etwa Fußball zu sehen, sondern Feldhandball. Eine Sportart, die in grauer Vorzeit anscheinend zehntausende Zuschauer anzog. Ein paar Tausend sollten es auch regelmäßig in ebenjenem Stadion gewesen sein. Damals noch mit einer Ehrentribüne ausgestattet, verfolgte man hier die Spiele des Dorfvereins, der sich bis in die landesweite Feldhandball-Oberliga der DDR vorgehangelt hatte.

Heute wirkt das Stadion etwas befremdlich, vor allem wenn Kreisklassenspiele darin ausgetragen werden. Mitten auf dem Dorf diese riesige Schüssel. Winzig klein turnen ein paar Dutzend Menschen darin herum und versuchen sich auf dieser viel zu großen Bühne am Fußballspielen. Aber wie gesagt, als Spieler kann man sich der “Faszination Stadion” nicht so recht entziehen.

Diese scheinen auch andere “Groundhopper” zu teilen. Bei meinen Recherchen zur Entstehung des Stadions ließ mich ein von einer Gruppe, die man im besten Sinne als erlebnis- und alkohol-orientiert bezeichnen konnte, aufhorchen. Besagte Herren nahmen tatsächlich die 2-stündige Zugfahrt aus Dresden auf sich, um diesem Ground einen Besuch abzustatten. Der Zufall wollte es, dass sie sich tatsächlich ein Auswärtsspiel, wenn auch nicht das hier beschriebene, meiner Mannschaft ansahen. Ganze 27 Zuschauer zählten die Groundhopper - eine Zahl, die mich überraschte - positiv. Bezeichnend, dass der Rest des Berichts sich eher mit der Beschaffung von Biervorräten, dem Stadion und dem autarken Gekicke gegen ein paar Dorfjungs beschäftigte - nicht aber mit unserem Spiel.

Aber genug zum Stadion, dessen Einfluss auf das Geschehen auf dem Platz doch eher marginal ist. Wo man beim Einlaufen ins Rund und beim Warmmachen vielleicht noch versucht, sich etwas “professioneller zu bewegen”, ist nach dem Anpfiff daran nicht mehr zu denken. Ein Schweinepass ist ein Schweinepass, egal ob du ihn im Jahn-Sportpark Sowieso oder im Bernabéu spielst. Für das unregelmäßige aber fortwährende Hoppeln des typischen Kreisklassenpasses ist nicht der Rasen sondern die Unzulänglichkeit der Spieler verantwortlich. Von daher kann man froh sein, 9 von 10 Spielen auf unebenem Geläuf zu bestreiten - Ausreden für suboptimale Performance auf dem Platz sind immer gefragt.

Der Spielverlauf ließe sich kurz zusammengefasst, wie so oft, als Aneinanderreihung unglücklicher Umstände beschreiben. Angefangen beim frühen, wie so oft vermeidbaren, Gegentor, über das, wie so oft wenig kombinationssichere, Aufbauspiel, bis hin zum Auslassen der sich, wie so oft selten bietenden, Torchancen. Dieses Spiel schien eine Blaupause unserer kollektiven Harmlosigkeit zu sein. Retrospektiv und diese Zeilen schreibend frage ich mich natürlich, ob das wirklich alles so schrecklich anzusehen ist und die Gegner wirklich so oft das Glück auf ihrer Seite haben. Vielleicht sollte ich mich auch von der Argumentationslinie verabschieden, dass mein Team “underperfomte” während die Gegner glücklich gewannen. Vielleicht waren wir auch einfach schlechter oder zumindest kein bisschen besser als die Teams, die wir zu Saisonbeginn hinter uns gewähnt hatten. Die Ergebnisse zumindest sprachen diese Sprache. Bisher hatten wir nur gegen ein Gurkenteam überzeugen können. Und auch in dieser Partie liefen wir einem selbst verschuldeten Rückstand hinterher ohne Aussicht auf den Ausgleich.

Das Match plätscherte dahin ohne ein erkennbares Bemühen von unserer Seite, den Ausgleich zu erzielen. Besser gesagt, der Gegner stand hinten ausreichend kompakt und hielt unsere Abwehr gerade so sehr in Atem, sodass wir damit vollumfänglich beschäftigt waren und keinerlei Druck nach vorne ausübten. Ich hielt mich an meine Defensivaufgaben und so wich die Stadionatmosphäre vollends dem grauen Kreisklassenalltag.

Klein gehalten wurden unsere Angriffsbemühungen von der beherzten, immer an der Grenze zur Brutalität schwankenden, Defensivarbeit unserer Gastgeber. Man mochte nicht mit den Stürmern tauschen und hörte selbst über das halbe Spielfeld hinweg, dass in der Zweikampfführung mal aus Grobschlächtigkeit, mal mit Absicht, öfter die Knöchel, Schienbeine und Hacken der Mitspieler traktiert wurden. Auch ein Grund sich hinten aufzuhalten.

Es hätte alles ganz geregelt in der sich abzeichnenden, aber verschmerzbaren Niederlage enden können, hätte mich nicht Mitte der 2. Halbzeit der Ehrgeiz gepackt. Nun könnte man meinen, ein bisschen Einsatzbereitschaft und Siegeswillen kann nicht schaden. In meinem Fall aber erwies sich der Entschluss, vielleicht doch mal den Vorwärtsgang einzulegen, als fatal. Ganz freiwillig geschah das nicht. Meinem Vordermann, im linken Mittelfeld beheimatet, ging langsam aber sicher die Puste aus. Ehemals ein Zugpferd der 1. Mannschaft, ließ er seine Karriere in der 2. ausklingen. Technisch beschlagen und trickreich konnte er immer noch seine Gegenspieler aussteigen lassen, aber eben nur für 60 Minuten. Danach verließen ihn meist die Kräfte. Als erfahrener Recke und Kapitän hätte er natürlich niemals den Platz verlassen. Stattdessen ließ er sich ein bisschen fallen und das linke Mittelfeld verwaist.

Bei knappem Rückstand gegen einen nicht übermächtigen Gegner zusammen mit dem entkräfteten Mitspieler auf Höhe des Sechzehners auf die anrollenden Angriffe zu warten, erschien mir wenig ruhmreich. Das linke Mittelfeld wollte besetzt werden. Also tat ich, was getan werden musste und arbeitete mich nun meinerseits am weiterhin kompakt stehenden Gegner ab. Dessen Zweikampfverhalten kann als unangenehm bis ekelhaft beschrieben werden. Den Gegenspielern stand ausreichend Kondition zur Verfügung um einen immer und überall zu beharken. Da wird gestochert und genestelt und meistens reicht das schon, um einen Angriff zu unterbinden. Dieses Gespiele ist zwar schmerzhaft und enervierend, aber nicht gefährlich. Ein kleiner Tritt gegen das Schienbein bringt niemanden um.

Gefährlich wird es, sobald Geschwindigkeit ins Spiel kommt, gepaart mit Grobmotorik und Kompromisslosigkeit. Ein blindes Gestocher in des Gegners Bein bei vollem Lauf ist weitaus ruinöser für die eigene Gesundheit als ein bisschen Getrete beim Kampf um den ins Aus trudelnden Ball an der Seitenlinie.

Bei mir war es eine kleine Kombination - ein Doppelpass, der einen längeren Pass in den freien Raum zur Folge hatte - der mir zwar nicht das Genick brechen, aber mich vom Weiterspielen abhalten sollte. Da rollte das Spielgerät auf der linken Seite in diesem schönen Stadion über das ausnahmsweise ebene Grün. Er schien mich zu rufen: “Flank’ mich”. Natürlich denkt man in so einem Moment nicht an irgendein Verletzungsrisiko. Man sieht den vielen Platz, die Nähe zum Strafraum und denkt, dass man genau deswegen Fußball spielt: den Ball aus vollem Lauf Richtung Elfmeterpunkt flanken. Ob dort jemand stehen und das Leder einköpfen würde - egal. Bei meinem fußballerischen Geschick wäre schon eine schön in den Strafraum segelnde Flanke ein gelungener Spielzug. Also sprintet man. Man sieht den Verteidiger heranrauschen, will aber diesen Ball unbedingt haben. "So einfach mache ich es euch nicht!" Wenigstens versuchen, den Ball zu erreichen. Es muss klappen! Fast gleichzeitig erreichen wir den Ball. Ich hole beherzt aus. Ich werde das Ding treffen. Aus vollem Lauf.

Mein Gegenspieler schenkt meinen Gedanken keinerlei Beachtung. Kompromisslos tut er bei voller Geschwindigkeit, dass, was er immer in solchen Momenten tut. Er hält ohne mit der Wimper zu zucken seinen Fuß drüber. Er ist das gewöhnt. Ich nicht. Es ist keine grobe Unsportlichkeit. Es ist eine von den vielen Kack-Aktionen des Gegners, die auch diesmal nicht bestraft wird. Vielleicht auch, weil der Schiedsrichter einfach viel zu weit entfernt steht, um zu erkennen, was genau passiert ist.

Keine Flanke segelt in den Strafraum. Ich stecke zurück, der Zweikampf ist verloren. Das Spiel wabert wieder in die andere Richtung. Ich will zurücklaufen und merke erst jetzt: Etwas stimmt nicht. Auf unserer Bank wird ein bisschen geschimpft, ob des verwährten Freistoßes. Ich renne zurück, dann trabe ich, dann humpele ich und bleibe auf Höhe der Mittellinie stehen. Ein paar Minuten probiere ich es noch, dann merke ich, das ist kein Pippieierschmerz, kein Tritt auf den Fuß, der ein bisschen zwiebelt. Es ist etwas Ernstes. Den Schmerz spüre ich, aber mich beunruhigt viel mehr, dass ich nicht mehr richtig laufen kann. Das wird nicht gut ausgehen. Für mich. Mein Gegenspieler hat genau das erreicht, was er wollte - er hat die Flanke verhindert, mich ausgeschaltet und ein bisschen eingeschüchtert. Kein Wort der Entschuldigung weder auf dem Platz noch nach dem Spiel. Ich tippe mal, dass das seine Art ist, Fußball zu spielen.

In solchen Momenten hallen ja oft die geflügelten Worte über den Platz: “Montag müssen wir alle wieder arbeiten”. Ein Spruch, von dem ich immer gedacht hatte zu verstehen, was er bedeutet. In Anbetracht der Einstellung meines Gegenspielers kamen mir Zweifel an meiner Auslegung. Sicher gab es Fußballer, die mit dem Ausspruch ein Minimum an Rücksicht auf dem Platz einforderten, damit alle nach dem Spiel wieder den wichtigen Dingen des täglichen Lebens nachgehen konnten. Vielleicht gab es aber noch eine zweite Bedeutung. Vielleicht kann man ihn auch so verstehen: die ganze Woche lasse ich mich von meinem Chef und sonstwem durch die Gegend scheuchen, aber am Wochenende auf dem Fußballplatz, da teile ich aus, da habe ich den Größten! Da gibt’s schön einen mit. Montag muss ich wieder arbeiten.

So in etwa stelle ich mir die Gedankengänge meines meiner Meinung nach hirnverbrannten Gegenspielers vor. Rücksichtslos macht er einfach meine schöne Flanke kaputt und mich gleich dazu. Aber wie gesagt, vielleicht war das auch seine Interpretation des Fußballspiels, die einfach etwas kampf- und körperbetonter als meine war. Während ich in meiner Jugend Kurzpassspiel mit der Innenseite einstudierte, zählten anderswo der Überlieferung nach in erster Linie andere Tugenden. Ich kann mich noch gut an die Schauermärchen unseres Jugendtrainers erinnern, der uns eintrichterte, dass bei manch anderen Teams, man wusste nicht genau, ob es sich um Homo sapiens oder primitive Vorformen handelte, nur gerannt, gebolzt und getreten wurde. Die Mär ging um, dass dort sogar Pressschläge trainiert wurden und sie als elementares spielerisches Mittel zum Einsatz kamen.

Ein Presschlagtraining hätte mir vielleicht auch gut getan an diesem Tag. So war ich verletzt und musste mich auswechseln lassen. Von draußen betrachtete ich das Elend nur noch und konnte nicht mehr dazu beitragen. Unsere harmlosen Angriffsbemühungen gipfelten in Erschöpfung auf dem Platz und ermöglichten dem Gegner ein zweites Tor kurz vor Schluss. Eines aus der Kategorie “Ausgerechnet” - ein kleines Solo beginnend an der Mittellinie mündete in einem sehenswerten 30-m-Schuss, der zielsicher einschlug.

Ein Spiel gegen diesen Gegner durch ein Gurkentor in Halbzeit 1 zu verlieren ist eine Sache. In der Schlussphase von einem vermeintlich unvermögenden Team ein das Spiel entscheidendes Traumtor zu kassieren, eine andere. Maximale Demütigung allüberall nach dem Abpfiff. Das ich beim Gang in die Kabine mehr kroch als lief, ging in der allgemeinen schlechten Laune unter. Wieso kümmert sich denn keiner um mich? Kein Wort, keine echte Hilfe, nur ein bisschen lieblos distribuiertes Eisspray und diese schreckliche Salbe, die nichts anderes tut, als am Ort des Auftragens unglaubliche Wärme zu entwickeln. Meine Verletzung ging wohl als eine Art üblicher Kollateralschaden durch. Hinzu kam, dass sich die Schwere meiner Verletzung erst jetzt abzeichnete. Der Schmerz brach sich langsam Bahn, die Bewegungen wurden schwerer.

Regungslos und missmutig saß ich minutenlang auf meinem Fleckchen in der Kabine und starrte ins Leere, zog mich schlussendlich doch um. Ganz langsam, unter Schmerzen. Was für eine riesengroße Scheiße!



Dienstag, 8. April 2014

Lang und gut und neu

Ich bin ein Freund von so genannten Longreads - also langen Texten, deren Halbwertszeit deutlich über den täglichen News und Befindlichkeiten liegt. Für englischsprachige Texte gibt es z. B. Longform, dass für den Leser diese Geschichten sammelt. Im Deutschen ist mir so etwas nicht bekannt - maximal der vermeintlich abgestorbene Versuch von gutetexte. Das Thema scheint ein bisschen nischig zu sein.

Ich wünschte, es gäbe so etwas für deutsche Texte. Ich wünschte, es gäbe so etwas für deutsche Texte über Fußball. Da ich nichts dergleichen finden konnte, habe ich das einfach mal selbst in die Hand genommen. Eine verschlagwortete Linksammlung mit langen, deutschsprachigen Texten von mit und über Fußball:


So sieht 120minuten aus.

Lange habe ich an dem Projekt im stillen Kämmerlein gebastelt und eine Art Prototyp mit ein paar Texten erstellt. Es gibt natürlich viel Luft nach oben und unendlich viel, was ergänzt werden könnte. Deshalb mein Aufruf an die werte Leserschaft:


  • Gibt es denn überhaupt Interesse eine solche Seite regelmäßig zu frequentieren/einen Newsletter zu lesen/bei Twitter zu folgen?
  • Gibt es Anregungen, was, wie dort noch integriert werden kann/soll/muss?
  • Wer kann sich vorstellen, dort mit zu kuratieren oder die Idee anderswo besser zu adaptieren bzw. irgendwo anders zu integrieren?
  • Habe ich eine Seite, die genau das Gleiche nur viel besser bietet, in meiner Blindheit übersehen?


Ich suche also Mitstreiter, Ideen, Feedback. Es geht mir bei dem Projekt in erster Linie darum, mit wenig Administrationsaufwand einen Mehrwert für eine (vermutlich kleine) Leserschaft zu liefern, das Prinzip zu verfeinern und ggf. zu erweitern. Von finanziellen Gelüsten getrieben ist das Ganze nicht.

Also schaut mal vorbei und lasst mich wissen, ob es gefällt - per E-Mail, bei Twitter oder als Kommentar.

Ich bin gespannt, ob’s interessiert.

Mittwoch, 19. März 2014

Mit fliegenden Fahnen

Wer regelmäßig die Texte von Sid Lowe liest, für den wird Rayo Vallecano kein unbekannter Name sein. Immer wieder nimmt sich der Mann vom Guardian das Geschehen beim Klub vor, zuletzt hier. Ich habe seinen Ausführungen nicht sonderlich viel hinzufügen und möchte an dieser Stelle einfach mal eine Lanze für einen kleinen Klub und seine unorthodoxe Spielweise brechen.

In Madrid gibt es Real und Atletico aber auch den Vorortklub Rayo Vallecano, den man vom Namen her nicht in/bei der Hauptstadt Spaniens verorten würde. Seit 2011 hält man sich mit bescheidenen finanziellen Mitteln in der ersten spanischen Liga. In der letzten Saison landete man sensationell auf Rang 8 und hätte Anspruch auf die Europa League gehabt. Hätte, weil der spanische Verband Rayo die Teilnahme wegen finanzieller Schwierigkeiten verwehrte.

Schaut man sich die Kader der vergangenen Jahre an, fällt einem auf den ersten Blick nur der Name Michu auf, der von Swansea zu Beginn der Spielzeit 12/13 in die Premier League gelotst wurde und dort einen bleibenden Eindruck hinterließ. 12 Abgänge, darunter die 3 besten Scorer, gab es vor der laufenden Saison. Die 11 Neuzugänge bestehen zur Hälfte aus Leihgaben - zur anderen Hälften aus ablösefreien Spielern. Nur der durchschnittliche Marktwert der Spieler aus Almería ist laut transfermarkt niedriger als der der Rayo-Spieler.

Paco Jémez. Marbella Football Center
By Pedrito Guzman
(Flickr: Paco Jémez. Marbella
Football Center) CC-BY-SA-2.0,
via Wikimedia Commons
Eine der wichtigsten Figuren bei Rayo ist natürlich der Trainer, Paco Jémez, der u.a. Mitte der 90er mehrere Jahre bei Deportivo La Coruna aktiv war. Er übernahm mit Rayo Vallecano im Sommer 2012 seinen ersten Klub in der Primera Division und erreichte prompt den oben erwähnten Europacup-Platz. Paco Jémez ist ein Idealist, so scheint es. Für ihn zählt die Offensive, das Agieren. Ob seine Mannschaft ein Spiel mit 2 oder 4 Toren Unterschied verliert, zählt nicht so viel. Er möchte offensiv spielen, den Gegner dominieren. Rayos Spielanlage ist dementsprechend riskant.

In 28 Spielen hat sein Team die meisten Gegentreffer der Liga kassiert - 62 - was kein exorbitant hoher Wert für einen Abstiegskandidaten ist. An den ersten 6 Spieltagen kassierte man 2 Mal 4 und 2 Mal 5 Tore. Auch keine ungewöhnlichen Zahlen, wenn man weiß, dass der FC Barcelona und Atletico Madrid 2 der Gegner waren. Aber die Art und Weise der Niederlagen war eine ungewöhnliche. Rayo erspielt sich so viele Chancen wie sonst nur die Topteams - sucht fast so oft den Torabschluss wie Barcelona und Real und wird bei den kurzen Pässen nur von den beiden Letztgenannten überboten. Beim Ballbesitz belegt man ligaweit Rang 3, bei der Passquote Rang 4.

So kam es, dass Rayo bei der 0:4 Heimniederlage gegen Barcelona dennoch ein Ausrufezeichen setzen konnte. Zum ersten Mal seit 2008 hatten die Katalanen weniger als 50 % Ballbesitz. Im Ergebnis spiegelte sich diese scheinbare Dominanz nicht wieder und im Saisonverlauf hagelte es immer wieder empfindliche Niederlagen - wie schon in der Vorsaison.

Aber jetzt scheint es wieder zu funktionieren, das System Rayo. Die letzten 3 Spiele gegen Valencia, Real Sociedad und Almería konnten allesamt gewonnen und die Abstiegsplätze verlassen werden. Ich hoffe, dass der Verein der Primera Division erhalten bleibt. So viel Mut muss belohnt werden.

Und so sieht es dann aus, wenn ein Abstiegskandidat mit offenem Visier spielt und damit Erfolg hat (Einbetten war leider nicht möglich).



Sonntag, 16. März 2014

Und wo bleibt die Spannung?

Update: In der Gruppenphase der CL-Saison 14/15 haben die Gruppenletzten erstmals seit 2008 im Schnitt wieder mehr als 3 Punkte in ihren 6 Gruppenspielen geholt. Was die Häufigkeit der Halbfinalteilnahmen angeht - 13/14 hat Barcelona erstmals seit 6 Jahren das Halbfinale verpasst. Das Atletico ins Halbfinale vorstieß, war schon die Überraschung des letzten Jahres - die 3 anderen Halbfinalteilnehmer waren die üblichen Verdächtigen. Gleiches gilt diese Saison: Juventus ist das "Überraschungsteam" - mit Barca, Bayern, Real konnte man planen.

Das die Verteilungsmechanismen und das Financial FairPlay der UEFA nicht gerade förderlich für den Wettbewerb sind, sollte bekannt sein. Deshalb möchte ich jetzt hier auch nicht das Klagelied von der ungleichen Verteilung der Champions League-Millionen anstimmen, das anderswo schon oft (zu Recht) gesungen wurde. Es soll ein anderes Klagelied sein und zwar das des Konsumenten.

Wie spannend ist die Champions League noch für den Zuschauer im Allgemeinen und für mich im Besonderen? Vieles am Modus der Champions League ist darauf ausgelegt, den großen Klubs das Weiterkommen zu erleichtern. Die Gruppenphase dient als Durchgangsstation zu den KO-Spielen, die erstmals für richtig Spannung sorgen (sollen). Aber auch im Achtelfinale treffen die Gruppensieger nur auf Gruppenzweite, gegen die sie noch nicht gespielt haben, die nicht aus dem gleichen Verband kommen und deren offizielle Bezeichnung nicht auf den gleichen Buchstaben endet. Das verhindert meist, dass z.B. Real und Barca vor dem Halbfinale aufeinander treffen. Es gibt keinen Turnierbaum, der dem Fußballintreressierten einen kleinen Blick in die Zukunft ermöglicht. Das Achtelfinale zieht sich wie Kaugummi und erst ab dem Viertelfinale wird ohne Setzliste ausgelost. Da sind dann die Großen bereits unter sich.

Man hat das Gefühl, dass es so viele Regeln und Vorschriften bei der Ansetzung der Spiele gibt, dass kaum noch Platz für Unvorhergesehenes bleibt, für Überraschungsmannschaften, die es mit Losglück und Können auch mal bis in ein Halbfinale schaffen.

Hallo? Genau das möchte ich doch. Natürlich wünscht man sich nicht den reinen KO-Wettbewerb zurück, der eine Mannschaft mit einer Handvoll Spiele zum besten Team Europas machen konnte. Aber ein kleines Überraschungsmoment? Hm?

Die Spiele und ihr Ausgang werden gefühlt immer vorhersagbarer. Die Gruppenphase versprüht zumindest für mich wenig Spannung und die Lücke zwischen den Topklubs und den Mannschaften, die bei der Gruppenauslosung in Topf 3 oder 4 landen, wird größer. Statt latent vorhandenen Gefühlen, sollten natürlich Fakten sprechen. Schaut man sich dementsprechend die Punktausbeute der Gruppenletzten in den vergangenen Spielzeiten an, wird eines klar:



Abgebildet ist die durchschnittliche Punktzahl des Gruppenletzten seit Einführung der Gruppenphase mit 32 Teams. Für die schwächeren Teams, insbesondere aus den kleinen Ligen, zählt nur noch das Dabeisein. Bei Einführung der Gruppenphase erzielten die Gruppenletzten zunächst mal mehr, mal weniger Punkte. Seit 2006 ist ein Abwärtstrend erkennbar. Heißt: der Gruppenletzte ist immer abgeschlagener und dient als Punktelieferant. Im Schnitt gewinnt das Team auf Platz 4 inzwischen nicht mal ein Spiel - gerade mal 2,5 Pünktchen erreichten die 8 Letzten in dieser Spielzeit im Schnitt.

Die Vertreter aus Dänemark, Österreich, Belgien, Schottland und Rumänien fanden sich bspw. 2013 auf Platz 4 wieder. Für die kleineren Verbände ist eine Teilnahme an der Gruppenphase meist das Höchste der Gefühle. 2 mickrige Törchen erzielte Steaua in 6 Spielen, in denen der Keeper vom RSC Anderlecht ganze 17 Mal hinter sich greifen musste. Das macht die Gruppenphase nicht gerade spannender.

Die KO-Spiele sorgen bei mir zwar für mehr Spannung, aber die üblichen Verdächtigen scheinen sich sehr regelmäßig unter den letzten 4 einzufinden. Deshalb habe ich mir die Besetzung der Halbfinals angesehen, also welche Teams es in den CL-Spielzeiten unter die besten 4 Europas schafften. Seit Start der Champions League 1994* habe ich den Zeitraum in 4er-Schritten aufgeteilt. Die folgende Übersicht zeigt die Anzahl der Halbfinalteilnahmen im jeweiligen Zeitraum:


Was auffällt: die großen Namen tauchen in den letzten 8 Jahren öfter in den Semifinals auf. Waren es in den 3 Vier-Jahres-Abschnitten von 1994-2005 immer 10 oder mehr (von 16 möglichen) verschiedenen Teilnehmern, so machten zwischen 2006 und 2009 nur 7 Teams und von 2010 bis 2013 9 Teams die Finalteilnahme unter sich aus.

Der FC Barcelona bringt es inzwischen beispielsweise auf 6 Halbfinalteilnahmen in Folge. Bayern München und Real Madrid scheinen auch ziemlich fest gebucht in den letzten Jahren. Die Dominanz der Premier League scheint etwas nachgelassen zu haben.

Die Vertreter aus kleineren Ligen schauen sich das Kräftemessen der Großen inzwischen aus sicherer Entfernung an. Seit 2006 hat es nur ein Team, das nicht aus England, Spanien, Italien oder Deutschland stammt, in ein Halbfinale geschafft. In den Vier-Jahres-Abschnitten zuvor waren es immer mindestens 2 - in den Anfangsjahren sogar 6, starken französischen Teams sei Dank. Letztgenannte sind ja in den kommenden Jahren wieder im Halbfinale zu erwarten, allerdings nicht aufgrund der klugen und auf Gleichberechtigung bedachten Verteilungspolitik der UEFA, sondern weil die Ligue 1 ein angenehmer Spielplatz für das Wettrüsten von Investoren ist.

Wer also im Halbfinale spielt, danach kann man nahezu seine Uhr stellen. Für mich als Zuschauer ist diese Monotonie im Halbfinale und die Chancenungleichheit in der Gruppenphase ein Quell der Langeweile. Ach, schon wieder Champions League?

Natürlich wollen die großen Klubs abgesichert sein und die UEFA sitzt ein Stück weit zwischen den Stühlen. Einerseits die Interessen der Schwergewichte bedienen und ihnen einen gewissen Erfolg garantieren, um sie weiter im System UEFA zu halten. Andererseits den Zuschauern einen spannenden Wettbewerb bieten. Man hört Kalle und Co. immer mit der eigenen Superliga drohen. Dabei haben wir sie gewissermaßen schon. Nur, dass man in den Gruppenspielen, die eine oder andere Mannschaft aus den kleinen Ligen die Punkte abliefern lässt. Natürlich lebt die Champions League auch von den großen Duellen, aber eben auch vom Wettbewerb.

Das "Produkt Champions League" wird für mich immer unattraktiver. Wer, wie, was dafür verantwortlich ist, ist mir in dem Moment, in dem Bayern Viktoria Pilsen mit 5:0 abfertigt, egal. Ich weiß nur, dass ich mir Spannenderes vorstellen kann.

*zuvor wurde das Finale direkt im Anschluss an die Gruppenspiele ausgetragen

Montag, 10. März 2014

2 Jahre bloggen

Ich hatte es ja schon am Jahrestag auf Twitter erwähnt - dieses Blog ist nun 2 Jahre alt. 2 Jahre, in denen ich hier viel ausprobieren konnte. Als ich angefangen habe, betrug meine Leserschaft genau Null. Endreas war ein neu erschaffenes Pseudonym und auch sonst bin ich wenig bis garnicht in sozialen Netzwerken aktiv. Es gab also niemanden, keine Facebook-Freunde, keine Twitter-Follower, denen ich mein Blog hätte empfehlen können.

Und dennoch fanden/finden eine ganze Reihe von Lesern den Weg hierher - und genau das ist der Punkt, der einen Großteil der Motivation am Bloggen für mich ausmacht - wahrgenommen werden, mitbekommen, dass da jemand ist, der sich für den eigenen Kram interessiert, Gleichgesinnte kennenlernen - Wertschätzung und Kommunikation.

Also großer Dank an alle Lesenden und Weiterempfehlenden. Insbesondere die Leser der ersten Stunde, die dem Blog eine Chance gegeben und die Entwicklung hier verfolgt haben. Als erstes fallen mir da Herr Kamke und Trainer Baade ein, die mir seit den Anfängen bei Twitter folgen. Und natürlich das Team von Fokus Fußball, die täglich ihre Link11 zusammenstellen - eine Win-win-Situation für Schreibende und Lesende.

Ich selbst kommentiere und empfehle viel zu selten weiter. Dabei ist es gerade dass, was diesem Blog auf die Sprünge geholfen hat. Nur so hat überhaupt jemand mitbekommen, dass es hier so ein Ding gibt, bei dem man sich durch Miro Kloses Karriere scrollen kann. Eine etwas verschrobene Idee von mir, die erstaunlich viel Anklang fand, eben durch das Weiterverbreiten via Twitter. 

Notiz für mich also: weitermachen, mehr Blogs lesen, öfter kommentieren und weiterempfehlen.

Danke!

Donnerstag, 27. Februar 2014

Ping-Pong - Ein Jahr im Kreis #7

Welcher Aufwand ist gerechtfertigt, um ein Fußballspiel auf der untersten Ebene nicht zu verpassen? Welche finanziellen Opfer kann man bringen, um am Samstagnachmittag in einem eigentlich bedeutungslosen Spiel gegen den Ball zu treten? Wäre es verrückt, extra für diesen Zweck ein Auto anzumieten und damit einen hohen zweistelligen Betrag in den Sand zu setzen? Meine verblüffende Antwort auf diese Frage war im Vorfeld von Spieltag 4: Natürlich nicht!

Das hing einerseits mit dem positiven Ergebnis der Vorwoche zusammen. Nach einem hohen Sieg wollte ich auf der Welle des Erfolgs mitschwimmen. Nicht, dass sich im Team jetzt doch noch eine gewisse Eingespieltheit entwickelt - ohne mich. Denn auch wenn es selten eintrat, dauerhaft gute Ergebnisse bei eigener Abwesenheit, können selbstverständlich auch in der Kreisklasse den Stammplatz kosten. Und der Gegner, der auf uns wartete, begünstigte den Traum von zwei Siegen in Folge. Es handelte sich um eines der Gurkenteams, die wir eigentlich hinter uns lassen wollten und mussten.

Außerdem war ich natürlich gespannt, wie sich mein konzertiertes Lauftraining in den letzten Wochen auf meine Leistung auswirken würde. Zumindest negativ sollte sich das nicht bemerkbar machen. Die Neugier herauszufinden, ob ich nun die Außenlinie hoch und runter marschieren könnte, war groß.

Und natürlich gab es auch eine emotionale Komponente, die mich dazu brachte eigens ein Auto zu mieten, um an diesem Auswärtsspiel teilnehmen zu können. Die Partie fand just in dem kleinen Städtchen statt, in dem ich acht Jahre lang die Schulbank des Gymnasiums gedrückt hatte. Oft verschlug es mich nicht mehr dorthin. Also eine gute Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Schnell vorab noch eine Runde auf dem am Samstag ausgestorbenen Schulhof gedreht - bei einem gefühlten Wendekreis von 2,50 m kein Problem mit dem Mietwagen. Keine Ahnung, wieso man so etwas tut. Normalerweise hänge ich der Vergangenheit nicht so sehr nach. Aber man will doch wenigstens wissen, ob alles noch so aussieht, wie beim letzten Mal.

Beim Gegner gab es trotz meiner Schulzeit vor Ort nur wenige bekannte Gesichter. Eines begrüßte mich aber schon kurz nach dem Aussteigen aus meinem Mini-Miet-Mobil: “Mensch Mülli, was machst du denn hier, ich dachte, du wärst tot.” Ein warmer Empfang, der nicht dadurch besser wurde, dass der Spitzname “Mülli” sonst von niemandem verwendet wurde. Außer von Mertel, was wiederum der geläufige Spitzname meines “alten Bekannten” war. Mertel war der fünf Jahre ältere Bruder eines ehemaligen Klassenkameraden. In der 6. und 7. Klasse nahm ich nicht selten den beschwerlichen 15 km langen Weg (ohne Mietwagen, aber mit Fahrrad) auf mich, um den Klassenkameraden auf seinem Dorf zu besuchen. Bei mir war tendiziell weniger los und die Motivation meines Freundes mich zu besuchen, das gab er mir gegenüber offen zu, ging gegen Null. Zwangsläufig war ich also öfter bei ihm und lernte so auch Mertel näher kennen. Er machte zu der Zeit eine Bäckerlehre, schlief meist, wie er überhaupt die meiste Zeit des Tages im Bett verbrachte, fuhr einen alten Kadett, rauchte und trank (natürlich auch im Bett) und zockte auf seiner Playstation. Mit anderen Worten - er lebte meinen Traum.

Bier trinken und Rauchen, wann immer man wollte, Auto fahren, Prasselkuchen kostenlos und Videospiele spielen - ein Leben im Paradies - zumindest aus meiner damaligen Perspektive. Hätte ich mich in so jungen Jahren (und vermutlich auch noch ein paar Jahre später) für einen Lebensweg entscheiden müssen - dieser wäre es gewesen, den ich mit Feuereifer eingeschlagen hätte. Das dieser Lebensentwurf doch nicht so recht zu mir passte, merkte ich spätestens als ich mit Anfang 20 wieder auf Mertel traf.

Diesmal auf dem Fußballplatz. Er sah nicht so aus, als hätte sich in den letzten Jahren viel bei ihm geändert und bei unserem Wiedersehen war er noch nicht mal Teil der Gurkenmannschaft gegen die wir spielen sollten - er war lediglich eine Art Betreuer ohne genau erkennbare Funktion. “Betreuer” bedeutet in der Kreisklasse das chronische Langeweile mit absolutem fußballerischem Unvermögen aufs Erstaunlichste kulminiert. Soll heißen: man hat einerseits nichts Besseres zu tun, als sich am Samstag auf Fußballplätzen herumzutreiben und ist andererseits nicht mal gut genug um auf der untersten Stufe mittun zu dürfen.

Es mag sich vielleicht vermessen anhören, aber aus diesen Umständen zog ich für mich den Schluss, dass bei Mertel wohl nicht viel los war. Aber vielleicht irre ich mich auch und er hat heimlich sein Abitur nachgeholt, arbeitet jetzt bei einem Dax-Unternehmen, ist mit einer Schönheitskönigin verheiratet und besucht die Kumpels am Wochenende nur noch um der alten Zeiten Willen.

Mertel jedensfalls durchlief im gegnerischen Team einen gewissen Aufstieg, was ich im Umkehrschluss als Zeichen des schleichenden Niedergangs interpretierte (obwohl unsere Ergebnisse in den direkten Duellen nicht besser wurden). Beim letzten Aufeinandertreffen war er schon regulärer Torwart gewesen und das obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte, dass er sich in früheren Jahren überhaupt mit Fußball befasst hätte. Wo er wohl heute auflaufen würde? Ich war gespannt.

Die Spielvorbereitung auf dem Platz und in der Kabine bedarf hier keiner näheren Erläuterung - kurze Ansprache und dann raus. Ich würde auf meiner angestammten Position als Linksverteidiger spielen. Vor, neben und hinter mir bekannte Gesichter, auf die man sich verlassen konnte. Zu grübeln gab mir unser letzter Mann - wiederum wurde ein 18-jähriger Jungspund aufgeboten, der gerade erst in unsere Mannschaft gekommen war. Und selbst wenn er dreimal schneller und technisch beschlagener als unsere Stammkraft auf dieser Position war - ich würde Routine und Erfahrenheit immer jugendlichem Tatendrang auf dieser sensiblen Position vorziehen.

Ich war diesmal als einer der ersten auf dem Platz - rückblickend würde ich sagen, dass ich es wahrscheinlich kaum erwarten konnte, den Gegner meine mutmaßliche läuferische Überlegenheit auf dem Platz spüren zu lassen. Mertel kam auch aufs Feld, allerdings nicht im Torhüterdress sondern als Feldspieler und so ein riesiges Aufgebot hatte der Gegner nicht. Das hieße ja, malte ich mir aus, dass man beim Gegner schon so verzweifelt war, diesen Rumpelfüßer aufbieten zu müssen. Insgeheim rechnete ich mir einiges aus. Als die Mannschaften vor Anpfiff Aufstellung nahmen, erkannte ich das ganze Ausmaß der gegnerischen Misere - Mertel wurde als Mittelstürmer aufgeboten. Jetzt war ich siegesgewiss. So einen lassen wir keine Tore schießen.

Schon vom Anpfiff weg versuchte ich Kapital aus meinem Lauftraining zu schlagen. In der ersten Viertelstunde lies ich mich oft anspielen und versuchte mich die Außenlinie herunterzukombinieren. Leider scheiterte ich immer wieder kläglich an der Kombiniererei. Es ist schon erstaunlich: Da spielt man seit Jahr und Tag Fußball, durchläuft alle Jugendmannschaften, verbringt vermutlich mehrere Tage seiner Lebenszeit damit, in stumpfen Trainingseinheiten, den Ball von A nach B zu passen und dabei irgendwo hinzulaufen und im Spiel ist man nicht in der Lage, das im Schweiße seines Angesichts Erlernte, den doch eigentlich so einfachen kurzen Pass, ordentlich zu spielen. Wieso fällt es einem so schwer, einen Ball auf eine Entfernung von 5-10 m ordentlich weiterzukullern?

Gefühlt verbaselte ich in meinen Sturm- und Drang-Minuten jeden Ball und konnte meine neu erlangte Kondition einsetzen, um hinten meine Fehler wieder auszubügeln. Ziemlich schnell hatte ich mein Pulver verschossen und musste Verschnaufpausen einlegen. Ich merkte zwar, dass ich mich körperlich besser fühlte, aber bis jetzt hatte mir mein Enthusiasmus nur Probleme bereitet. Schuster bleib bei deinen Leisten. Dem Rest des Teams gelang allerdings auch nicht viel.

Auf Seiten des Gegners hatte man trotz Heimrecht eine eher abwartende Haltung eingenommen und lies uns erstmal machen. Das interessante an diesem Spielkonzept - es ist garnicht mal so abwegig, dass man in der Kreisklasse mit einer so passiven Spielweise zum Erfolg kommt. Wenn dem Gegner, also uns, die spielerischen Mittel fehlen, um ein solches Team auseinanderzuspielen und man sich mit einem Unentschieden zufrieden geben würde, dann kann man problemlos in dieser Abwehrstarre verharren.

In uns fand die gegnerische Mannschaft ihr perfektes Opfer, denn spielerische Mittel waren Mangelware an diesem Tag. Nicht nur ich verhedderte mich immer wieder bei meinen Bemühungen, den Ball nach vorne zu tragen. Auch fehlte uns ein Stürmer vom Typ Brechstange. Eigentlich hatten wir ja so jemanden in unseren Reihen - einen passablen Fußballer von riesiger Statur, der eine gegnerische Abwehr mit seiner physischen Präsenz ordentlich beschäftigen konnte - nur stand der an diesem Spieltag nicht zur Verfügung. Wir arbeiteten uns also bemüht aber glücklos am Gegner ab, der seinerseits auf offensive Kabinettstückchen fast vollständig verzichtete und den Ball nach kurzer Zirkulation in den eigenen Reihen hoch und weit nach vorne beförderte. Empfänger dieser Bälle war dann meist Mertel, der zwar selbst groß gewachsen war, aber aufgrund seiner fehlenden fußballerischen Ausbildung jedwedes Stellungsspiel vermissen ließ.

Ein paar Chancen erspielten wir uns, aber ein Tor sprang nicht heraus.

Unsere Angriffsbemühungen waren fruchtlos. Das musste auch unser Ausputzer denken, der in seinem jugendlichen Tatendrang auf dem Platz Ad hoc ein Gegengift für die fehlende Durchschlagskraft unseres Kombinationsspiels entwickelte. Wie in dem vorangegangenen Spiel mit ihm begann er, auf ein nur für ihn sichtbares Zeichen hin, die Bälle im Spielaufbau nicht mehr flach nach außen oder vorn zu verteilen sondern sie mit aller Gewalt Richtung Mittellinie und darüber hinaus zu befördern. Mir erschien diese gewiefte Variante des Spielaubaus sofort als wenig erfolgversprechend, fehlte doch im Sturm jemand, der diese Bälle hätte annehmen und verarbeiten können. Eine erfahrene Abwehr, selbst eine in der Kreisklasse, hat mit derlei Bällen meist kein Problem - erst recht nicht, wenn ein Stürmer fehlt, der den Ü-35ern ein bisschen auf die Füße steigt. Durch jahrelange Erfahrung und unter Einbeziehung von Windgeschwindigkeit, Außentemperatur, Luftdruck und Stand der Sonne werden solche Bälle von den Routiniers mit der Mütze abgefangen. Auf einen sich verschätzenden Vorstopper kann man vielleicht noch in der A-Jugend spekulieren, aber nicht wenn es gegen routinierte Verteidiger Mitte 30 geht, deren Paradedisziplin genau das ist und die quasi seit 15 Jahren nichts anderes zuverlässig auf dem Fußballplatz machen, als hoch anfliegende Bälle abzufangen.

Diese eigenmächtige und radikale Umstellung unseres Offensivspiels führte unweigerlich zu einer Art Ping-Pong-Fußball. Minutenlang vor- und zurücktrabend, den Kopf immer gen Himmel gerichtet, um den Flug des Spielgeräts weiterzuverfolgen, fragt man sich, welchen Sport man eigentlich ausübt. Wenn der Ball von einem Strafraum zum anderen gedroschen wird, mutet Fußball doch eher wie eine steinzeitliche Kraftsportart an, deren Sinn es ist, den Ball möglichst hoch und weit aus der eigenen Spielhälfte weg zu befödern. Die Spieler versuchen dabei, den Gegner so gut es geht bei der Ausführung des Weitschusses zu behindern. Landet der Ball im Seitenaus, gibt es Punktabzug, wird das Leder ohne Berührung des Bodens direkt zurück befödert, gibt das Extrapunkte. Sieger ist, wer es schafft, den Ball aus dem eigenen 16-er mehr als 5 m über das Tor des Gegners zu schlagen. Gänzlich unnatürlich ist es bei dieser Regelauslegung, dass der Ball am Boden mit dem Fuß geführt wird - maximal zwei Ballberührungen je Spieler sind erlaubt - eine zum Zurechtlegen des Spielgeräts, die andere zum beherzten Zutreten. Das Spielgerät wird nur in Momenten höchster Not zum Mitspieler weitergespielt, der Ball muss beim Abspiel zwingend auf Kniehöhe gespielt werden und vor der Annahme mindestens zweimal aufsetzen - sonst Punktabzug.

So dümpelte das Spiel bis zur Pause vor sich hin. Und auch in Halbzeit 2 stellte sich nach halbherzigen Versuchen, den kurzen Pass wieder zu kultivieren das gleiche Bild ein. Es ging hin und her in hohem Bogen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf diese Weise ein Tor fällt, ist natürlich gering. Wer davon ausgeht, dass man Fußball spielt, um zu gewinnen, der wird die hier den Ball fortwährend wegschlagenden Personen als geistig nicht ganz auf der Höhe einordnen. Geht man aber davon aus, dass der Sinn des Spiels darin besteht, sich nicht zu blamieren und möglichst kein Gegentor zu bekommen, so erscheinen die hier geschilderten Handlungen auf dem Platz etwas verständlicher. Wieso sollte sich ein Kreisklassenfußballer mit Dingen abmühen, die er nicht beherrscht (Kombinationsspiel) um doch nur Fehler zu begehen, die zu Gegentoren führen könnten. Da besinnt man sich doch lieber auf das, was man kann - hoch und weit.

All mein Enthusiasmus war schon in leichte Resignation umgeschlagen. Das würde wohl nichts mehr werden mit dem Kantersieg. Mit einem hässlichen aber ergebnistechnisch okayem Unentschieden hatte ich mich innerlich schon angefreundet als ein weiterer hoher Ball des Gegners sich in unserer Hälfte senkte. Statt den Ball zu klären, verpassten sowohl Vorstopper als auch unser jugendlicher letzter Mann, die sich fatalerweise beide zum Ball orientierten, das Spielgerät und so idiotisch einem diese Spielweise erscheint, sie hatte dazu geführt, dass Mertel nun mit aller Zeit der Welt und dem Ball am Fuß auf unser Tor zu marschierte. Wie sollte es auch anders sein. Der Typ, dem ich jegliches fußballerisches Geschick abgesprochen hatte, netzte in Makaay-Manier abgeklärt ein. Erst nach dem Tor war in seinem Gesicht abzulesen, dass es sich für ihn dabei um einen erstaunlichen Stunt gehandelt haben musste. Egal, Tor ist Tor und damit auch die Entscheidung. Meine masochistische Ader ist leider nicht stark genug ausgeprägt, als dass ich hier den Hergang der verbleibenden 20 Spielminuten beschreiben könnte.

Abpfiff, Enttäuschung - was für eine Demütigung. Mal wieder. Da der Ausgang der Partie nach dem Gegentor absehbar war, fiel die Phase des Zerstörtseins nach dem Spiel relativ kurz aus. Diese 1-2 Minuten in der Kabine, in denen kaum jemand ein Wort spricht und alle mit sich selbst beschäftigt sind. Pietätlos wäre es, jetzt einfach draufloszuwitzeln, dass weiß selbst der größte Sozialparia. Es bedarf schon einer kurzen Ansprache des Trainers, um die Situation aufzulösen. Oder der Mann mit dem Bier betritt die Szenerie. Auf den war aber aufgrund des Auswärtsspiels nicht zu hoffen.

Nach dem Duschen trat ich aus dem muffigen Kabinentrakt nach draußen, wo weiterhin die Herbstsonne für angenehme Temperaturen sorgte - es hätte so ein guter Tag werden können. Auf dem Platz mühte sich jetzt die erste Mannschaft ab. Gegen die hatten wir in der Vorsaison vor der Ligareform noch selbst gespielt. Durch einen Zwangsaufstieg wurde die Mannschaft allerdings eine Klasse höher katapultiert. Da die unterste Spielklasse aufgelöst wurde und deren 2. Mannschaft (also unser heutiger Gegner) dadurch automatisch zu uns aufstieg, durfte auch die 1. Mannschaft eine Klasse höher antreten.

Anstatt knapp gegen die 1. Mannschaft zu verlieren wie in der Vorsaison, zogen wir nun gegen die Zweitvertretung den Kürzeren. Ein gutes Pferd, springt eben nie so hoch, wie es muss, man schrumpft an seinen Aufgaben oder wie das heißt. Nachdem die Enttäuschung verflogen war, kam die Zeit, Mertel seinen Triumph zu gönnen. Nicht, dass ich ein guter Verlierer wäre, aber irgendwie konnte ich ihm sein Tor nicht übelnehmen. Schließlich waren WIR hier an unserer Ideenlosigkeit gescheitert. Und sich nach dem Spiel in der Nähe des Siegtorschützen aufzuhalten, kann auch nicht schaden. Bei Wurst und Bier taten wir beide so, als würden wir uns schon lange gut kennen und unterhielten uns ein bisschen.

In der Septembersonne stehend auf das Kreisligaspiel starrend, hätte ich noch einige Zeit verharren können. Diese Vorstellung teilten anscheinend nicht viele der Ortsansässigen. Trotz bester Bedingungen und eines Sportplatzes, der im Herzen des 5.000-Einwohner-Städtchens lag, konnte man die Zuschauer an einer Hand abzählen. Es schien sich um eine verschworene Gemeinschaft zu handeln, die nicht um des Fußballs Willen dem Sportplatz einen Besuch abstattete, sondern weil man das einfach schon immer so machte. Die Geschehnisse auf dem Platz waren nur ein Randthema der Unterhaltungen abseits des Platzes.

So steht man da und beobachtet das Gras beim Wachsen. Und obwohl das Spiel wie eine Nebensache erscheint, gibt es den Takt vor. Nach Abpfiff löst sich die kleine Menschentraube innerhalb weniger Minuten auf. Die Herbstsonne stellt langsam aber sicher den Dienst ein, es wird kühler. Zeit sich wieder in den Mietwagen zu klemmen und die Stätte der Niederlage hinter sich zu lassen. War es das wert? Selbstverständlich.

Mittwoch, 26. Februar 2014

Absolute Eigengewächse

Wie ist das denn nun mit der Jugendarbeit in der Bundesliga? Latent ist schon das Gefühl da, dass relativ viele junge Spieler aus den eigenen Jugendteams zum Einsatz kommen und dass es sie noch gibt, die Profis, die ihren Klubs über viele Jahre treu bleiben.

Ich habe verglichen. Mit der spanischen Primera Division und der englischen Premier League. Und zwar die absolute Zahl der Spieler, die im Kader des ersten Teams stehen und bisher nur für ihren aktuellen Klub aktiv waren. Nicht berücksichtigt dabei wurde die Größe des Kaders und dennoch sagen die Zahlen so einiges.





In der Bundesliga stehen also durchschnittlich die meisten Eigengewächse in den Kadern - fast 7 Spieler pro Team. Die spanische Primera Division folgt knapp dahinter, in der Premier League stehen im Schnitt nicht mal 3 Eigengewächse im Kader. Was zu erwarten war.

Vergleicht man die einzelnen Teams, so fällt auf, dass es in der Primera Division ein starkes Gefälle gibt. Mehrere Klubs rekrutieren ihren halben Kader aus der eigenen Jugend (Athletic Bilbao gezwungenermaßen), in anderen spanischen Kadern sind nahezu gar keine solchen Profis zu finden.

In England tendiert die Anzahl an Eigengewächsen oft gegen Null. Die neue eigens für U21-Teams der Premier League Klubs gegründete Nachwuchsliga könnte ein Grund dafür sein. Auffällig ist, dass mit Manchester United und Arsenal zwei seit vielen Jahren erfolgreiche Mannschaften, die meisten Eigengewächse in ihren Reihen haben.

In der Bundesliga sind auch die großen Zwei unter den Mannschaften mit den meisten Spielern aus dem eigenen Nachwuchs. Einen Beitrag zu der Menge an Eigengewächsen in Bundesligakadern leistet sicherlich auch §5 a der DFL Lizenzordnung Spieler (Dank an vio für den Hinweis). Darin ist nämlich verankert, dass mindestens vier vom Klub ausgebildete Spieler im eigenen Kader stehen. Ausnahmen, die die Abstinenz von ausschließlich bei einem Verein aktiven Spielern bspw. in Augsburg erklären, gibt es natürlich. So müssen die Spieler z.B. im Alter von 15 - 21 nur drei Jahre bei einem Bundesligisten gewesen sein, um als vom Klub ausgebildet zu zählen.


*Die Zahlen sind absolut, die Kadergröße wurde also nicht berücksichtigt. Ebenso wenig Nachwuchsspieler, die den Verein nur vorübergehend verlassen haben. Und die Anzahl an Eigengewächsen im Kader ist natürlich nur eine quantitative Bewertung, keine qualitative. Es lässt sich also nicht ablesen, wie bzw. wie oft die Spieler eingesetzt werden.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Nicknames - die Spitznamen der englischen Fußballteams

Eine schöne Marotte des englischen Fußballs sind die Spitznamen, die die Mannschaften nicht nur bei den eingefleischten Fans sondern auch im Allgemeinen Sprachgebrauch haben. Die meisten Bezeichnungen sind schon seit vielen Jahrzehnten gebräuchlich und werden als Teil der Fußballtradition wahrgenommen.

Hierzulande gibt es das nicht, bzw. nicht flächendeckend. Selten wird ein bestimmter Terminus mit einer Mannschaft in Verbindung gebracht - auf der Insel scheinen die Teams mit ihren Spitznamen verwachsen - eine zweite Haut, die Auskunft über Einstellungen oder Herkunft des Klubs gibt.

Ich habe mich auf die Suche nach der Herkunft dieser Spitznamen begeben - einige sind banal, andere vertrackt, unerwartet, richtiggehend debil. Ergebnis meiner Suche ist die Liste unten. Darin zu finden ist

  • der geläufigste Spitzname mit einem Link auf die beste aufzutreibende Quelle, 
  • eine sinngemäße Übersetzung (diese entspricht nicht immer der offensichtlichsten) 
  • sowie Name, Ort und Liga des Vereins. 

Hinter den Links steckt eine längere Recherche (auch wenn einige nur zu Wikipedia führen) da ich immer versucht habe, mein Ergebnis so gut es geht abzusichern. ABER: Ich bestehe darauf, dass ich hier im Fall der Fälle mit aller notwendigen Härte von den Lesern berichtigt werde.








Der Spitzname Aston Villas sorgt immer wieder für Konfusion. Richtig ist: der Spitzname des Teams lautet Villans und ist damit eine Ortsbezeichnung. Wegen ähnlicher Aussprache wird aber immer wieder von den Villains - den Bösewichten gesprochen. Sogar auf Bildchen in Zigarettenschachteln.

Viel spannender oder dröger (je nachdem) als der aktuelle Spitzname des Chelsea FC ist ein alter, nicht mehr gebräuchlicher - The Pensioners. Bis in die 50er-Jahre wurde das Team aus London mit diesem Spitznamen assoziiert. Die Bezeichnung Pensionäre rührte von dem Begriff "chelsea pensioner" her. So wurden nämlich die Insassen des Royal Hospital Chelsea genannt, einem Altenheim für britische Soldaten. Die Verbindung von Seniorenheim und Fußballklub war so eng, dass sich im Klublogo sogar ein alter, bärtiger Geselle fand. Club Manager Ted Drake sorgte ab 1952 für einen Imagewandel - er lies das alte Logo und den Spitznamen verschwinden.

Craven CottageDer Spitzname des Fulham FC, Cottagers, hat einen ganz und gar einleuchtenden Hintergrund, dessen ich mir erst im Rahmen dieser Recherche gewahr wurde. Cottage heißt soviel wie Jagdhütte und eben solche grenzt direkt an das Stadion des Klubs, das Craven Cottage, an. Auch der Fakt, dass diese Jagdhütte bei Eröffnung des Stadions 1896 durchaus ihre Berechtigung hatte, ist an dieser Stelle erwähnenswert.

Die Bedeutung des Spitznamens des Liverpool FC ist relativ eindeutig. Reds ist eine Anspielung auf die Trikots und Rot ist gleichzeitig auch eine für Liverpool typische Farbe. Nicht ganz unbekannt aber dennoch erwähnenswert ist, dass der Liverpool FC zwar schon sehr lange, aber noch nicht seit seiner Gründung in roten Trikots aufläuft. In den ersten Jahren spielte man in den Farben Blau und Weiß - also denen des Lokalrivalen Everton. Noch im ausgehenden 19. Jh. wechselte man zu roten Trikots und weißen Hosen. 1964 dann wurde unter Trainer Bill Shankly die rote Hose eingeführt.

Spitznamen aus der Vogelwelt sind bzw. waren bei englischen Fußballklubs keine Seltenheit und sollten Beweglichkeit und Geschicklichkeit symbolisieren. So zum Beispiel bei West Bromwich Albion, die eine Drossel im Klublogo führen. Aus heutiger Sicht wirken die kleinen Vögelchen eher putzig. Inzwischen hat sich für WBA der Spitzname Baggies durchgesetzt, zu dem mehrere Theorien kursieren. Eine besagt, dass es zu Beginn des 20. Jh. nur zwei Stadionzugänge gab. Dort wurden dann die Tageseinnahmen eingesackt und in prall gefüllten Hosentaschen zu den Büroräumen im Stadion getragen - daraus entstand der Ruf: "here come the Baggies". Weitere Theorien ranken sich um Schutzkleidung von Fabrikarbeitern oder bekannte Spieler, die den Klub verließen und den übriggebliebenen Spielern zu große Hosen (Fußstapfen) hinterließen.

In der Vogelwelt hat man sich auch beim Norwich City FC bedient. The Canaries - also Kanarienvögel - rührt von den von Einwanderern mitgebrachten und in Norwich gezüchteten Vögeln her. 1905 bezeichnete Klubmanager John Bowman seine Spieler liebevoll als "my little canaries". Eine Vorlage, die die Presse gerne aufgriff. 1907 passte Norwich seine Trikotfarben entsprechend an, die Heimtrikots waren fortan grün-gelb.

Beim Reading FC hat sich der aktuelle Spitzname "The Royals" wegen der Nähe zu Windsor Castle etabliert. Bis in die 70er-Jahre des 20. Jh. war man jedoch als "The Buiscuitmen" bekannt. Der örtlichen Keksfabrik Huntley & Palmers, die ihren Betrieb 1976 einstellte, sei Dank. Wer mehr über die Geschichte von Huntley & Palmers erfahren will, dem sei die dazugehörige Website empfohlen inkl. Kekstimeline und interaktivem Keksspiel.

Der Sunderland AFC hatte viele Spitznamen, so zum Beispiel "Rokerman" in Anspielung auf das Roker Park Stadion. Nachdem man aus diesem 1997 auszog, musste ein neuer Name her. Der Verein verließ sich auf die Stilsicherheit seiner Anhänger und organisierte eine Abstimmung unter den Fans, die vorab ihre Vorschläge einreichen konnten. Mehr als 10.000 Anhänger stimmten ab und erkoren "The Black Cats" zum neuen Spitznamen. Mit schwarzen Katzen bestanden bei Sunderland nämlich schon länger Anknüpfungspunkte. 1908 schaffte es ein Exemplar z.B. aufs Mannschaftsfoto.

Der Spitzname des Swansea City AFC hat weniger mit Schwänen zu tun, als vielmehr mit Wikingervornamen und der Lage des Ortes. Swansea war ein Handelsposten der Wikinger und der Name bedeutet wahrscheinlich soviel wie "Svens Insel". Beim heute geläufigen Spitznamen der Fußballmannschaft "The Swans", denkt natürlich niemand mehr an einen Wikinger, sondern vielmehr an Schwäne, die auch im Klublogo verewigt sind.

Swansea Jack memorial
Swans ist jedoch nur eine Kurzform für Swansea Jacks, so werden auch die Einwohner der Stadt bezeichnet. Für die Swansea Jacks wiederum gibt es zwei Theorien. Die erste stammt aus der Zeit, als die Männer aus Swansea als Seeleute einen guten Ruf genossen. Die zweite hat mit einer abstrusen Begebenheit zu tun und soll deshalb an dieser Stelle näher erläutert werden. Im Jahr 1930 erblickte Retriever Jack in Swansea das Licht der Welt. Hund Jack konnte Gefahr quasi riechen und betätigte sich als Rettungsschwimmer. 27 Menschen soll Jack vorm Ertrinken gerettet haben, bis er 1937 nach dem Genuss von Rattengift auf tragische Weise starb. Bereits zu Lebzeiten wurde er mit Medaillen ausgezeichnet. Jack war ein Star und ist in Swansea unvergessen - heute erinnert ein Denkmal an ihn

Die Red Devils, also Manchester United, haben ihren Spitznamen vielleicht nur geborgt - und zwar von einem Rugbyteam aus Salford (der Link zu dem wirklich sehr lesenswerten Text funktioniert momentan leider nicht), einem Stadtteil von Manchester. Auf einer Tournee durch Frankreich 1934 bekam das Rugbyteam diesen Spitznamen von den Franzosen verpasst - wozu auch mehrere Theorien kursieren, was aber an dieser Stelle zu weit führen würde. Es könnte also gut sein, dass man sich bei Salford bedient hat.

Unter Trainerlegende Matt Busby kam durch die Medien der Spitzname Busby Babes auf. Der Begriff wurde aller Wahrscheinlichkeit nach das erste Mal 1951 in einem Zeitungsartikel erwähnt. Das aus den Busby Babes die Red Devils wurden, hat vermutlich wenig mit dem dramatischen Flugzeugabsturz von 1958 in München zu tun, denn die Bezeichnung Red Devils kam schon vorher auf.

Eine andere Theorie rankt sich um ein Europapokalspiel von Manchester gegen Anderlecht aus dem Jahr 1956. In der ersten Runde traf man auf den belgischen Meister und besiegte diesen im Heimspiel mit 10:0. In Anderlecht gewann man mit 2:0 und vielleicht hat diese denkwürdige Europapokalpaarung den Namen mitbegründet. So ganz geklärt ist die Herkunft des Spitznamens also, nach meinen Recherchen, nicht - ich lasse mich gern eines besseren belehren.

PS: Ein paar Websites haben sich neben der Wikipedia als sehr wertvoll erwiesen. Footynicknames ist ziemlich bunt, aber die alten Klublogos und Zigarettenschachtelbildchen sind einen Blick wert. The Beautiful History ist ein Blog, das sorgfältig recherchierte Informationen zu Farben, Namen und Logos vieler britischer Klubs liefert und aus dem leider nie ein Buch wurde. Fürs Auge ist dieses flickr-Set mit alten Zigarettenschachtelbildern.