Ein Jahr im Kreis
Ich spiele Fußball.
In der letzten Liga.
Und schreibe darüber.
>>>Lesen>>>

Miro Klose zum Scrollen
Die lange Karriere des Miroslav Klose in der Nationalmannschaft.
>>>Lesen>>>

120minuten
Lange Fußballtexte wechselnder Autoren. Von und mit mir.
>>>Lesen>>>

Montag, 4. August 2014

Ranrobben - Ein Jahr im Kreis #9

"Genesung" wäre das falsche Wort, um den Heilungsprozess meiner Knieverletzung zu beschreiben. "Abklingen" trifft es eher. Ganz langsam, kaum spürbar konnte ich mein Bein wieder besser bewegen. Über Wochen hinweg zog sich dieser Prozess bis zur (vermutlich) vollständigen Wiederherstellung meines Ausgangszustands, den ich als "halbwegs beweglich, konditionell mangelhaft" beschreiben würde.

Während ich mich auf mein Leid konzentrierte, wurde aus dem schlechten Start eine Gurkensaison, bei der schon im Oktober abzusehen war, dass es keinen Grund geben würde, sich ihrer, sagen wir in fünf Jahren, nochmal zu erinnern. Nichts von dem, was man sich vorgenommen hatte, schien einzutreten. Von wegen Spitzengruppe oder oberes Mittelfeld. In sieben Spielen war gerade mal ein Sieg gelungen. Peinlich.

Die genauen Gründe dafür, konnte ich nicht ergründen, denn "ich hatte keinen Kontakt zur Mannschaft". Es ist ja schon freaky genug, wenn man stundenlang durch die Gegend juckelt, nur um in der Kreisklasse zu spielen. Aber als humpelnde psychologische Unterstützung den Weg auf sich nehmen, wäre wohl einer Erklärung der eigenen Unzurechnungsfähigkeit gleichgekommen. So blieb mir nur die Ferndiagnose und meine wenigen Eindrücke von den Spielen, denen ich beigewohnt hatte.

Unter fehlender offensiver Durchschlagskraft hatten wir schon in den Vorjahren gelitten, das war nicht neu. Meine Mutmaßungen drehten sich um die Abwehr, die in dieser Saison von einem 18-Jährigen zusammengehalten werden sollte. Er und seine fehlende Erfahrung waren das Problem - da war ich mir sicher. Das Schöne an solchen Behauptungen im Amateurfußball: Niemand kann sie überprüfen. Keine Statistiken. Nirgends. Karten, Einsätze und Tore werden halbwegs zuverlässig gezählt, dann ist aber auch schon Schluss.

Damit ist Tür und Tor offen für die wildesten Theorien, wer wohl auf dem Platz für Erfolg/Misserfolg verantwortlich ist. Ich mochte meine Theorie von dem die Abwehr destabilisierenden Jungspund, der nicht mit uns redete und mir, das muss man sich mal vorstellen, das Kopfballspiel überließ. Ich war es gewohnt, dass meine Mitspieler das übernahmen, da man mir auf 100 m gegen den Wind ansah und ansieht, dass ich einen Fußball, wenn überhaupt, kontrolliert und getimt nur mit dem Fuß spielen kann. Alles andere - off limits.

Bei einer Saison von der man schon im Oktober wusste, dass sie wohl mit einem Platz im Mittelfeld der Tabelle enden und sich mit vielen zähen Spielen fortsetzen würde, stellt man sich natürlich die Motivationsfrage. Warum mache ich das überhaupt? Ist man verletzt und betrachtet das peinliche Treiben nur aus der Ferne, stellt sich diese Frage noch viel mehr. Für mich fiel die Antwort relativ eindeutig aus: ich wollte Sport treiben und außer Fußball kann ich nicht viel. Was blieb mir also anderes übrig, als mir einen Plan zu überlegen, um zurückzukommen.

Anders als im Leistungssport stellt sich in der Kreisklasse das Zurückkommen, das an die Mannschaft herankämpfen, viel einfacher dar. Von wegen, in Form kommen dauert so lange, wie die Verletzungszeit. Sobald man signalisiert, dass das Bein wieder halbwegs mit dem Oberschenkel verwachsen ist, wird man mangels Konkurrenz im Kader wieder auf den Platz geworfen. Eine Kondition, die es galt wieder aufzuholen, um den Vor-Verletzungszustand wiederherzustellen? Ja, so etwas gibt es, aber das Ausgangslevel vor der Verletzung, das es wieder zu erreichen gilt, ist so minimal...lassen wir das.

Auf jeden Fall rechnete ich mir gute Chancen aus, wieder zurück zu kommen und das besser als je zuvor. Durch regelmäßiges Training am Ball. Das wäre der Schlüssel. Kondition war nicht alles, wie ich ja schon festgestellt hatte. In mir reifte der Gedanke, mir ein regelmäßiges halbwegs koordiniertes Training zu organisieren. Mit Bällen, Mitspielern, Hütchen zum Umschießen, stinkenden zerfetzten Leibchen und dem ganzen Kram. Die Dynamik in der Trainingsgruppe würde schon dafür sorgen, dass ich regelmäßig etwas tun würde und nur so konnte ich mich Wettkampfbedingungen annähern. Da half kein Gejogge durchs Unterholz oder Gestocher auf dem Bolzplatz. Training muss sein.

Man hört vielleicht heraus - mit jeder Woche meiner Genesung wuchs meine Entschlossenheit nochmal "anzugreifen". Durch ein bisschen Disziplin musste es ja wohl selbst für mir möglich sein, in einem Kreisklassenfußballspiel gut auszusehen.

Mein innerlich über Wochen gereifter Plan entlud sich in einer Hauruck-Aktion. Ich öffnete an einem Dienstagnachmittag die Internetseite des Stadtteilvereins, der mich bereits vor einigen Jahren hatte mittrainieren lassen. Zufall 1: dienstags war Training, was genau genommen kein großer Zufall war. Aus meiner Erfahrung heraus würde ich behaupten, dass 98 % aller Amateurvereine am Dienstag und Donnerstag trainieren. Montag und Freitag passen nicht wegen der Nähe zu Spieltagen, würde man den Mittwoch wählen, müsste man montags oder freitags trainieren, um zwei Einheiten pro Woche zu schaffen. Zufall 2: Auf der Internetseite war die Telefonnummer von Trainer Maik Wortkarg (Name geändert) zu finden, den ich sogleich anrief:

Ich (aufgeregt): Ja, hallo, äh, hier ist Endreas. Ich habe gesehen, sie trainineren die 4. Mannschaft. Ich wollte mich so ein bisschen fit halten, bin Fußballer, hab immer gespielt im Verein und so. Ich spiele aktuell noch in der Heimat, also da wo ich herkomme, also nicht hier, aber ich könnte mir vorstellen, wenn alles passt, und ihr, äh, jemanden braucht, dann wäre ich gern dabei, würde mich jetzt aber erstmal fit halten. Geht das, dass ich einfach mal beim Training rumkomme und mittrainiere und dann schauen wir mal? 
Maik Wortkarg (wortkarg): Ja, komm einfach vorbei. 
Ich (euphorisch): Ok, dann bis später! 
Maik (ruhig): Hm.

Ich war also im Geschäft! Die Euphorie musste ich ausnutzen und machte mich auf den Weg zum Training. Vieles fand ich noch so vor, wie bei meinem letzten Stelldichein. Die okayen aber etwas zu kleinen Umkleiden, die bröckelnde alte Stehtribüne. Aber, o Graus! Wo war der schöne Hartplatz hin? Nun könnte man meinen, dass ein Hartplatz nicht gerade ein erstrebenswerter Traininguntergrund ist. Woche für Woche schürfte man sich die Knie auf und der Ball dotzt beim Aufspringen wie ein Flummi. Muss man nicht gut finden. Sehe ich eigentlich auch so.

Bei meinen letzten Trainingsaktivitäten hatte ich aber auch die heilsame Wirkung des Hartplatzes kennengelernt. Wer unter der Woche den Ball auf dem unnachgiebigen Untergrund beherrschte, für den war ein Rasenplatz am Wochenende eine Art Erleichterung. Nicht dass mich jemand falsch versteht und jetzt denkt, mir wäre durch die Übungseinheiten auf gewalzten Geläuf kein Ball mehr versprungen, aber die grüne, weichere Spielunterlage am Wochenende fühlte sich dadurch weniger feindselig an.

Weg war er also der Hartplatz. Ersetzt durch einen seelenlosen, stumpfen Kunstrasen, auf dem man sich die Knie genauso aufschürft, der aber ansonsten einen immergrünen, stets gleich gut bespielbaren und perfekt getrimmten Rasenplatz simulierte. Ein Trugbild zumindest was die bevorstehenden Pflichtspiele und die mich dort erwartenden Rasenbedingungen anging.

Beim Betreten des Sportplatzgeländes schwang natürlich auch etwas Aufregung mit. Würde man jemanden wiedererkennen? Wie wird der Empfang ausfallen? Und vor allem: Hoffentlich falle ich nicht durch zur Schau gestellte fortgeschrittene Unfähigkeit auf.

Die Sache mit dem Wiedererkennen konnte ich für mich relativ schnell mit einem klaren Nein beantworten. Komplett neue Gesichter waren hier in der Kabine und auf dem Platz versammelt. Zunächst probierte ich noch, die Langform meiner Vereinsfindung zu erläutern: Früher schon mal hier gewesen, und jetzt verletzt, will wieder fit werden und könnte mir Wechsel vorstellen. Das Desinteresse an meinen ausschweifenden Erläuterungen nahm ich nach wenigen Anläufen zur Kenntnis und beließ es ab da bei einem beherzten "Endreas".

die bröckelnde Stehtribüne kam mir bekannt vor
Symbolbild mit freundlicher Genehmigung von Sasa 1)

Das allgemeine Interesse der Trainingspartner an ihren Mitmenschen schien sich generell in sehr engen Bahnen zu bewegen. Es gab etwas Grüppchenbildung und in ihnen gelegentliche Kommunikation. Ich interpretierte das weniger als Feindseligkeit sondern vielmehr als Ausdruck der großen Fluktuation was die Trainingsteilnehmer anging. Die meisten Kandidaten schienen sich gerade so beim Vornamen zu kennen. Zu oft schien hier das Personal zu wechseln. Niemanden interessierte es zunächst, wenn ein Neuer "jetzt mal mittrainierte".

Ich wurde erstmal in die "Trainingsgruppe 2" für Mannschaft 3 und 4 gesteckt. Ein gefühlter Abstieg. Bei meinem ersten Anlauf vor Jahren hatte es nur 2 Mannschaften und eine Trainingsgruppe gegeben. Auch wenn ich damals merkte, dass die Mitspieler mir überlegen waren - so schlecht aufgehoben fühlte ich mich dort nicht. Man wächst oder schrumpft ja schließlich an seinen Aufgaben und im Training schlecht aussehen, war für mich in gewisser Weise okay gewesen. Schließlich lief ich außer Konkurrenz.

Jetzt also Training mit Team 3 und 4 - zumindest dienstags, denn da hatte man sich explizit verabredet. Am Donnerstag "musste" dann mit der anderen Trainingsgruppe trainiert werden. Ein Umstand den ich fortan öfter ausnutzte und am Donnerstag zum Training anrückte. Konnte ich da Genervtsein gepaart mit Mitleid ausmachen, wenn ich in die Gesichter der Mitspieler aus Mannschaft 1 und 2 vor dem Training blickte? Ein "Kannst du dich eigentlich bei deinem Gestümper sehen?" oder ein "Schämst du dich denn gar nicht, an deiner Stelle würde ich mich in einem tiefen Loch verkriechen oder bei der nächsten Thekenmannschaft als Auswechsler anheuern?"

Selbst wenn ich solche inneren Einstellungen (neben der üblichen Gleichgültigkeit) in den Gesichtern hätte ablesen können - ich schaute darüber hinweg und es war mir letztendlich auch egal, was irgendwelche Amateurkicker über mich dachten. Sollten mal schön vor ihrer eigenen Haustür kehren. Bei meinem letzten Trainingsintermezzo hatte man noch stramm den Aufstieg angepeilt. Jetzt, Jahre später, dümpelte man immer noch in der gleichen Liga herum. Nicht selten hörte man die Mitspieler von den ach so starken gegnerischen Teams und der schwierigen Saison sprechen. Würde wohl wieder nix werden mit dem Aufstieg trotz 3 Paar Schuhen, die den Wetter- und Stimmungsverhältnissen entsprechend vor jedem Training ausgewählt wurden. Hatte ich schon erwähnt, dass ich solche Eitelkeiten in guten Momenten dulde, sie mir aber sonst gehörig auf den Sack gehen? Naja, musste ja jeder selber entscheiden, wie er sich der Lächerlichkeit preisgab. Ich eben mit meinem konditionellen Underperformen und gurkigen Flanken und die mich belächelnden Typen mit Möchtegernprofiattitüde (diese beiden Gruppen überschnitten sich, seltsam) in der obersten Stadtklasse, oder wie auch immer das hieß, wo sie spielten.

Jedenfalls war Donnerstag für mich immer Zahltag. Auch wenn keiner wirklich etwas sagte, hier wurden alle meine Schwächen schonungslos aufgedeckt. Ich war bei irgendwelchem 5-gegen-3-Quatsch peinlich schnell aus der Puste und folglich gefangen in meiner Rolle als nach dem Ball häschender Jogginghosenzombie. Bei Sprintübungen und dem ganzen Intervallsprint-Gedöns ging mir dann nicht nur die Puste aus sondern auch meine Langsamkeit kam gut sichtbar zum Vorschein. Jeder, aber auch wirklich jeder, schien schneller zu sein als ich. Und das obwohl Schnelligkeit eine meiner Grundeigenschaften (gewesen) war. Blöd, wenn einem fast jeder Mitspieler auf 25 m 5 m abnimmt und selbst Enddreißiger einen locker in die Tasche stecken. Hart.

Die nächste Steigerungsform waren die Übungen, die mit diversen Läufen über das halbe Spielfeld, Flanken und Torabschlüssen zu tun hatten. Meine Langsamkeit fiel dabei nicht so sehr auf. Aber meine Unfreshness, mein schwacher Torabschluss und meine eingerosteten Füße machten diese Übungen nicht nur für mich zur Qual, sondern auch für diejenigen, die mit mir in einer Gruppe waren und denen ich regelmäßig an den 16-er kullernde Flanken "lieferte" und deren Flanken ich wiederum entweder gar nicht erst erwischte (Kopfballspiel) oder kläglich vergab (Ball kullert 3 m am Tor vorbei).

In den Trainingsspielen kam ich mir nicht ganz so hilflos vor, lief viel, beackerte eine Außenbahn und bot mich an. Die Mitspieler, nicht nur die mit Möchtegernprofiattitüde, ignorierten mich aber verständlicherweise. Meinen Kredit hatte ich schon während der Übungen aufgebraucht. Und so bekam ich relativ selten den Ball und konnte das Abschlussspiel eines jeden Trainings als Laufeinheit abhaken.

Was mir einigermaßen lag, waren die Passübungen auf engstem Raum: Nimm den Ball an, spiel einen kurzen Pass und laufe über verschlungene Wege irgendwohin. Wie oft hatte ich solche Übungen in jungen Jahren machen müssen, fest davon überzeugt, dass sie mich für meine spätere Fußballkarriere stählen würden. Motiviert hatte ich gepasst und lief mal hierhin, mal dorthin ohne den Sinn des Ganzen in Frage zu stellen. Ja klar, wer keinen Kurzpass auf 3 m spielen kann, der sollte vom Fußball lassen. Darüber hinaus dachte ich mir, dass, wenn ich die Übungen nur genau genug und motiviert ausführen würde, meinem kometenhaften Aufstieg nichts mehr im Wege stehen würde. Jugendliche Naivität.

In meiner Fußballrealität zählten jetzt andere Werte - Kraft, Ausdauer, Durchsetzungsvermögen. Da nutzten mir meine millimetergenau gespielten Pässchen aus dem Lauf rein gar nichts. Ich schob mir nunmal nicht mit Cruyff & Co. das Bällchen zu. Mein Metier war es eher, hinter hoch weggebolzten Bällen herzuwetzen oder scharf auf Kniehöhe geschlagene Verlegenheitspässe annehmen zu müssen. Nebenbei bemerkt, meine Kurzpassqualitäten möchte ich nicht mit Cruyff & Co. vergleichen. Denn mit den Pässchen aus dem Lauf war es schnell vorbei, sobald ich aus der Puste kam. Also in so ziemlich jeder Situation außerhalb der kleinen Pass-und-Lauf-Übungen.

So wurschtelte ich Woche für Woche donnerstags mit und wurde von den Mitspielern als hoffnungs- aber auch harmloser Geselle betrachtet. Niemand sagte ein böses Wort und ihre Häme, falls vorhanden, verbargen sie zum Großteil vor meinen Ohren und Augen. Ich lies mich in den nächsten Wochen nicht von meinem Ziel, wieder "fit" zu werden abbringen und kam tapfer und regelmäßig zum Training.

Kontrastprogramm war dann immer dienstags angesagt, wenn ich mit "Trainingsgruppe 2" trainierte. Schon als ich das erste Mal zum Aufwärmen auf den Platz kam, erschienen mir die Bewegungen der Spieler aus Mannschaft 3 und 4 seltsam. Seltsam ungelenkt und unkoordiniert. Ungelenker und unkoordinierter als meine eigenen! Mein erster Eindruck sollte sich schon bei der initialen Übung bestätigen. Alle Trainingsteilnehmer standen sich nach dem individuellen Aufwärmen* aufgereiht gegenüber. Sechs auf der einen Seite, sechs auf der anderen - dazwischen ungefähr 5 m Luft. Nun kam ein Ball ins Spiel bzw. sollte ins Spiel kommen. Das Leder sollte einfach nur von Spielerreihe A zu Spielerreihe B gepasst werden, gefolgt von einem kleinen Sprint zur anderen Seite. Das schien den Mitspielern schon relativ viel abzuverlangen. Immer wieder verfehlten die Pässe meilenweit ihr Ziel und Müßiggang stellte sich ein. Die ausbleibenden Sprints zur anderen Seite wurden zumindest durch halbwegs engagiertes Ballholen wieder ausgeglichen. Die Gruppe schien mir nicht sonderlich verwundert über den kläglichen Verlauf dieser doch eigentlich einfachen Übung. Es brandete Applaus auf, wenn mal fünf Pässe hintereinander ankamen.

Die Trainingseinheiten gestalteten sich in Trainingsgruppe 2 dementsprechend zäh. Wie sollte auch ein ordentliches Training möglich sein, wenn man schon an so überschaubaren Aufgaben scheiterte. Alle komplexeren Trainingssituationen waren überaus schwer zu ertragen. Wenn der Ball nicht nur von A nach B gepasst, sondern von A nach B gepasst, dann lang die Grundlinie heruntergespielt und im Anschluss geflankt werden sollte, konnte man kaum einen Spielzug zu Ende bringen. Irgendjemand, ich natürlich eingeschlossen, würde den Ball schon verstolpern.

Das Training mit Gruppe 2 war folgerichtig weniger intensiv, aber fußballerisch, so ehrlich musste ich zu mir selbst sein, war das genau meine Kragenweite. Soll niemand auf die Idee kommen, dass ich da fußballtechnisch irgendwie herausgestochen hätte - außer vielleicht mit meinem linken Fuß. Mit meinen verstolperten Bällen und laschen Flanken war ich hier genau richtig. Nur war es ziemlich schmerzhaft, sich das in der Gesamtheit anzutun. Wenn eine Lusche immer mal wieder die Übung sprengt - in Ordnung. Aber wenn eine Ansammlung davon permanent am Bälleholen ist...

Nichtdestotrotz gewann ich auch diesen Einheiten etwas fußballerisch Wertvolles ab: ab und an kam ja doch mal ein Pass an und gelaufen wurde immer. Ich schaffte es, mehrere Wochen ziemlich diszipliniert hintereinander sowohl Trainingsgruppe 1 als auch 2 einen Besuch abzustatten und baute, so bildete ich mir das ein, nach und nach Kondition und Ballsicherheit auf. Ein gutes Gefühl. Und je länger man dabei war, desto weniger fiel man im Training bei Gruppe 1 mit Gurkenbällen auf. Es schien sich also tatsächlich Besserung einzustellen. Das komisch distanzierte Verhältnis zwischen den Spielern blieb bestehen. So richtig aufgenommen fühlte ich mich nicht. Ich hätte eigentlich mit aggressiven Abwerbungsversuchen hin zur 4. Mannschaft gerechnet, schließlich wurde bei jedem Training über die miserable Personalsituation debattiert. Nicht mal anstandshalber erwähnte man meinen möglichen Transfer zur Gurkentruppe. Aber das war mir egal. Ich war wieder da! Ich würde noch in diesem Jahr wieder in der Kreisklasse spielen! In meiner eigenen Gurkentruppe!


*individuelles Aufwärmen ist eine euphemistische Beschreibung des Dämmerzustands vor Trainings- oder Spielbeginn. Individuelles Aufwärmen geht oft einher mit angetäuschten Laufeinheiten, kraftlosen Schüssen, die dennoch kilometerweit das Tor verfehlen und wichtigen Gesprächen, die sich oft um die Gelage vom vergangenen Wochenende drehen. Individuelles Aufwärmen erfolgt nie zielgerichtet oder unter Anleitung. Es ist, in seiner Gänze betrachtet, eine Art Brownsche Bewegung von Bällen und Beinen, die ziellos über den Platz wabern.




1) Sasa ist Groundhopper und stellt auf seinem Blog seine Bilder aus den Stadien Serbiens vor - die Veröffentlichung hier erfolgt mit seiner Genehmigung - vielen Dank!