Ein Jahr im Kreis
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Lange Fußballtexte wechselnder Autoren. Von und mit mir.
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Freitag, 3. Januar 2014

Notnagel - Ein Jahr im Kreis #6

Aufgrund meines Mobilitätsproblems und der Aussicht auf weitere vier Stunden Zugfahrt meldete ich mich für den 2. und 3. Spieltag ab. Sich Abmelden ist in der Praxis mit einem unangenehmen Telefonat verbunden. Man muss seinem Gegenüber glaubhaft versichern, dass man tatsächlich etwas Wichtigeres zu tun hat, als Fußball zu spielen oder sich übermenschliche unüberwindbare Probleme aufgetan haben, die einem das Mitspielen unmöglich machen. Mein Trainer hatte meistens Verständnis, wenn man am Wochenende anderweitig zu tun hatte und absagte. Zumindest war das seine Art damit umzugehen. Was würde es auch bringen, sich mit den paar zur Verfügung stehenden Leuten zu überwerfen und ihnen Vorhaltungen zu machen?

Wer ein klein bisschen verwahrlost ist (wie ich von Zeit zu Zeit), greift bei der Abmeldung nicht selbst zum Hörer sondern lässt anrufen. Im Laufe der Woche des sich androhenden Spieltags schellt mit Sicherheit das Telefon. Spätestens am Donnerstagabend meldet sich der Trainer und fragt wie es steht, denn die Erfahrung hat ihm gezeigt, sich auf keinen Fall auf irgendwelche im Siegestaumel nach dem Spiel abgegebenen Versprechen zu verlassen. Als Spieler rede ich mir in einem Akt unendlicher Verblendung und aktiver Selbstbeschwichtigung ein, dass die Ausgangssituation bis zum Anruf des Trainers noch so stark von der Lage zu Wochenbeginn wegmäandrieren könnte, dass man letztendlich doch auflaufen können würde. Ganz plötzlich könnten lästige Termine, wie Geburtstage oder andere zwischenmenschliche Verpflichtungen, deren Teilnahme man in Momenten emotionaler Verwirrung versehentlich zugesagt hat, durch “unglückliche Unfälle” obsolet werden. Oder ich könnte endlich das monatlich im Rahmen der Fußballübertragung verloste Auto abräumen und wäre plötzlich wieder uneingeschränkt mobil.

Greift man selbst frühzeitig zum Hörer hat das eine andere Dimension. Die Möglichkeit, es sich aufgrund veränderter Vorzeichen nochmal anders zu überlegen, besteht dann nicht mehr. Denn was macht der Trainer nach der Absage - er ruft den Nächstbesten an und fragt ihn - irgendjemand wird sich schon finden. Das Ganze läuft nämlich nach dem Prinzip “Revolvergebiss” ab, wie wir es von unserem nächsten Verwandten aus der Tierwelt kennen: sagt der erste Kandidat ab, rückt ein anderer nach und der erste ist für den kommenden Spieltag ausgeplant, wenn es sich nicht gerade um den verhinderten Mannschaftskapitän oder Goalgetter handelt. Der Ersatzkandidat wurde angerufen und wenn er zusagt, spielt er auch, um ihn nicht zu vergraulen. Der Unterschied besteht darin, dass es sich bei den Nachrückern in der Regel nicht um messerscharfe Mordwerkzeuge sondern schlecht geflickte Amalgam-Stumpen handelt.

Würde es sich jetzt Kandidat 1 wieder anders überlegen, es wäre ein beherzter Schlag ins Revolvergebiss Mannschaftsgefüge. Ein Fußballteam ist ein komplexes und meist hierarchisch aufgebautes soziales Gebilde. Da kann man es sich nicht einfach anders überlegen. Das bringt nur Unruhe. Und wenn du weg bist, bleibst du weg.

Die Trainer sind bei diesem ständigen Stühlerücken besonders gefordert. Überhaupt ist ihr Aufgabenbereich in den Niederungen des organisierten Fußballs völlig anders gelagert, als man es von den Großen der Zunft kennt. 90 % ihrer Energie verwenden sie darauf, Woche für Woche eine Mannschaft zusammenzustellen, die sich nicht blamiert. “Mannschaft zusammenstellen” bedeutet natürlich nicht, spektakuläre Transferdeals einzufädeln, mit dubiosen Spielerberatern in schummerigen Hinterzimmern zu verhandeln oder Fachärzte zu konsultieren, um den Mittelfeldmotor fitspritzen zu lassen. “Mannschaft zusammenstellen” bedeutet für die Trainer meist noch nicht mal aus einer gewissen Anzahl von Spielern eine schlagkräftige Truppe zu formen und den Kader evtl. den Gegebenheiten des Spieltags anzupassen.

Nein, es bedeutet einfach irgendwie 12 - 14 Leute zusammen zu bekommen, die einigermaßen Fußball spielen können. Zumindest in der relativ dünn besiedelten Gegend, in der ich spiele, geht es, ohne dass ich das jetzt irgendwie belegen könnte, vielen Teams so.

Die Spieler sind im besten Arbeitsalter und gehen ihrer Arbeit meist in mehreren 100 km Entfernung nach. Sie studieren, machen Urlaub, ohne zuvor den Spielplan zu konsultieren und viele andere Dinge, die dazu führen, dass die einzige Konstante im Kader die ständige Fluktuation ist.

Klar, alle kennen sich untereinander und von einer Woche zur nächsten wechselt nicht die komplette Mannschaft. Aber wenn man sich mal überlegt, dass zu den limitierten fußballerischen Fähigkeiten der Spieler in der untersten Klasse noch eine ständige Rotation kommt, dann darf man sich über die grottige Qualität des Dargebotenen noch viel weniger wundern. In mehreren Spielen hintereinander mit der gleichen Abwehrformation aufzulaufen, ist absoluter Luxus.

Jedenfalls bringt der Trainer einen Großteil seiner Zeit mit dem Versuch herum, telefonierend, eine einigermaßen annehmbare Mannschaft zusammenzuwürfeln. Es wird nicht stundenlang über Taktik oder ähnliches gegrübelt. Viel mehr Zeit verbringt ein Trainer damit, sich abenteuerliche Ausreden anzuhören. Denn für viele Spieler ist Fußball auf diesem Niveau eben nur ein Hobby (von vielen). Wenn die Lust auf das runde Leder nicht so groß ist, kann man eben aus “arbeitstechnischen” Gründen nicht kommen oder man hat sich “verletzt”.

Mit so was müssen sich Trainer herumschlagen - die Telefongesellschaften freuen sich. Ich möchte, wenn ich das Ergebnis des 2. Spieltags sehe, nicht wissen, wer diesmal auf dem Platz gestanden hat. Der Begriff Notelf wäre vermutlich ein Euphemismus.

0:0 hieß das Endergebnis gegen eine der schwächsten Mannschaften der Liga. So etwas läuft dann in der Kategorie “Schweinespiel”. Zu einer solchen Partie lassen sich im Nachhinein kaum Informationen gewinnen. Fragt man die Mitspieler bei nächster Gelegenheit danach, bekommt man lediglich ein Schulterzucken zur Antwort. Ein Großteil will nicht dabei gewesen sein und der Rest kann sich an Nichts erinnern. Hört man dann, wer alles verhindert war, fragt man lieber gar nicht mehr, wer überhaupt gespielt hat.

Nur der arme Trainer muss sich das ganze Elend 90 Minuten anschauen, kann nicht ein- noch auswechseln und erkennt im Minutentakt, wie wichtig eine eingespielte Mannschaft wäre. Und was bekommen Sie dafür? Eine dicke Telefonrechnung und vielleicht noch ein paar warme Worte.

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