Ein Jahr im Kreis
Ich spiele Fußball.
In der letzten Liga.
Und schreibe darüber.
>>>Lesen>>>

Miro Klose zum Scrollen
Die lange Karriere des Miroslav Klose in der Nationalmannschaft.
>>>Lesen>>>

120minuten
Lange Fußballtexte wechselnder Autoren. Von und mit mir.
>>>Lesen>>>

Donnerstag, 2. August 2012

Nach der EM - ich hole nochmal aus

Ich muss zunächst etwas ausholen. Im Juni 2006 hatte ich eine Art Aushilfsjob ergattert. Auf einem mittelgroßen Volksfest, das von einem Wurstfabrikanten ausgerichtet wurde, hatte ich am Freitagabend eine Schicht in einem Bierwagen vor mir. Nichts spektakuläres: Bestellung aufnehmen, Bier zapfen, Geld entgegen nehmen usw. Und dennoch gab es an diesem Abend mit Bratwurst, Bier und Schlagersternchen etwas Befremdliches. Es war Eröffnungsspiel und das wurde natürlich auf Großbildleinwand gezeigt. Das hatte ich so noch nicht erlebt, empfand es aber dem Anlass angemessen - schließlich wollte der Veranstalter nicht, dass alle Welt zu Hause vorm Fernseher sitzt, während seine Würste kalt wurden. Ich selbst konnte mir das Spiel nicht ansehen, da ich mich im hinteren Teil des Festgeländes befand, die Leinwand aber im vorderen.

Nach dem Spiel tröpfelten die “Fans” dann langsam in den hinteren Bereich. Absolut nicht angemessen fand ich das Auftreten vieler dieser Leute: Deutschland-Trikot - ok, aber Fahnen, Deutschland-Tatoos und Deutschland-Schlachtrufe? Was zum Teufel war hier bitte mit den Deutschen los. Der sonst eher weggeschlossene Nationalstolz brach sich hier mit aller Macht bahn - und das nach einem 4:2 gegen Costa Rica.

Woher kam das? Lag es allein an der Zeitung mit den vier großen Buchstaben? Ich konnte mich mit dem neuen Partypatriotismus nicht so recht anfreunden, war mir aber bewusst, dass es sich bei den Kostümierten nicht um verkappte Nationalsozialisten handelte. Und irgendwie konnte man 2006 auch niemandem einen Vorwurf machen - Deutschland wurde als gutgelaunter Gastgeber wahrgenommen, die Mannschaft holte Platz drei, Schweini, Poldi und die anderen feierten mit den Fans in Berlin und die Bild dankte “für die geile Zeit”.

Bei mir blieb trotz allem ein ungutes Gefühl. Plötzlich kamen einem die vergangenen, bereits erlebten Turniere vor, wie aus einer anderen Zeitrechnung. Noch zwei Jahre zuvor hatte man gefühlt allein vorm Fernseher gehockt und Wörns, Baumann und Co. (auch Topjoker Brdaric kam zum Einsatz) dabei zugeschaut, wie sie gegen Lettland ein 0:0 herausholten.

Ja, jeder, der sich für Fußball interessierte, schaute auch die großen Turniere. Das allgemeine, gesellschaftliche Interesse kam immer erst ab dem Halbfinale auf. Plötzlich interessierte sich jeder, also wirklich jeder, für Fußball und man kam sich ein bisschen so vor, als müsste man sich sein liebstes Spielzeug fortan mit dem minderbemittelten Nachbarskind teilen - an jedem Sieg klebte auch etwas schwarz-rot-geiler Sabber. [Keine Frage ich übertreibe an dieser Stelle, aber man muss ja auch mal ein bisschen polemisieren.]

Und es hat ja auch seine guten Seiten. Mit der steigenden allgemeinen Akzeptanz des Fußballs, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit geworden, ein Spiel zu verpassen. Überall laufen die Übertragungen und auf die Spielansetzungen wird bei der Vereinbarung von Terminen im Geschäftlichen, wie im Privaten immer mehr Rücksicht genommen...aber ich schweife ab. 

Auch 2008 und 2010 - zu EM und WM gab es die schwarz-rot-geile Party. Gut, gegen Spanien kann man schonmal Ausscheiden, 2008 war man zu Grün hinter den Ohren und 2010 schnitt man, so die landläufige Meinung, ordentlich ab, vor allem in Anbetracht der Panik vor der WM, die von Michael Ballacks Verletzung herrührte - ich kann mich noch genau an den Brennpunkt nach der Tagesschau erinnern - wo sonst Terroranschläge und Massenpaniken thematisiert wurden, befasste man sich plötzlich mit der Verletzung eines einzelnen Fußballers. Die Medien waren der Nationalmannschaft wohlgesonnen obwohl zwischendrin die Blamage drohte, war man am Ende trotzdem stolz auf die Jungs. Und es gab ja noch Perspektiven. Was waren die Spieler alle jung?

Die EM-Quali weckte dann große Erwartungen, ohne Niederlage und dann auch noch die Niederländer weggehauen - 2012 war man reif für den Titel. Wer sollte “uns” diesmal aufhalten? Die Spanier? Ha, die haben zwar ein gutes Team, aber, aber...jetzt sind wir einfach mal dran. Und dann fehlt denen auch noch dieser haarige aus der Abwehr, der da zuletzt das Tor gemacht hat und der einzige Stürmer (den man so kennt). Diesmal sind “wir” dran. Es folgten die üblichen, seit 2006 bekannten, Rituale: Flaggen und Spiegelschoner wurden hervorgeholt. Allerlei schwarz-rot-goldene Fanutensilien wurden auf den Markt geworfen (hier eine Sammlung des größten Sch...) und vor jeder Kneipe wurden die Hinweistafeln gleichgeschaltet: “Bei uns alle EM-Spiele live!”

Und es ging ja auch gut los - drei Siege in der Hammergruppe - wer soll uns denn stoppen? Darauf einen Autokorso. Dann noch schnell die Griechen weggeballert und schon standen “wir” im Halbfinale. Nur noch Italien rauswerfen und dann ist es fast geschafft. Dann sind wir dran. Doch es kam anders und unspektakulär. Zwei Fehler reichen und statt dem Durchmarsch ins Finale stand man mit leeren Händen da. Was denken “die” sich eigentlich? Enttäuschung, Frustration, Unverständnis, Wut. “Die haben es verkackt, die Luschen!”

Spätestens an diesem Punkt merkte man, worum es den meisten wirklich ging: Ums gewinnen, gewinnen, gewinnen und sich selbst feiern! Nichts anderes. Fußball, ESC, wasauchimmer, es geht ums gewinnen! Der Zweite ist der erste Verlierer usw. Nun ist das mit dem Gewinnen so eine Sache. Es gibt beim Fußball kein Drehbuch (wäre aber eine mögliche Option für kommende Turniere, Stichwort Weltregie). Spannung ist eher unerwünscht und das schwarz-rot-goldene Publikum darf nur in homöopathischen Dosen damit in Berührung kommen, bzw. spannend ist nur, was auch spektakulär ist - ein 0:0, das in die Verlängerung geht...laaangweilig! Wenn das eigene Team nicht mindestens zwei Tore vorn liegt, kann man einfach nicht in Ruhe feiern.

Wer selbst Fußball spielt oder regelmäßig interessiert Spiele verfolgt, der weiß, dass das Verlieren elementarer Bestandteil des Sports ist. Man lernt Niederlagen zu akzeptieren und sie als einen Teil des Ganzen zu begreifen. Ohne die vielen Niederlagen würde sich ein Sieg nie so wertvoll anfühlen. Wie hat es sich wohl für einen echten Fan des Klubs angefühlt, als man 2007 den Pokal holte und in Europa spielen durfte. Seit 1968 hatte man zuletzt etwas gewonnen - 39 Jahre titellos. Jemand, der sich wirklich für den Verein interessiert, die Auf- und Abstiege miterlebt hat, muss wohl eine ganz andere Form von Glück empfunden haben, als irgendein Opportunist, der gerade zufällig bei der Pokalfeier vorbeikam und Freibier abgriff. Beim Fußball gibt es nunmal kein Happyend und keine Garantie auf Erfolg.

Niederlagen einstecken ist einfach nicht massenkompatibel und macht keinen Spaß, wenn man sich nicht ernsthaft für ein Thema interessiert sondern nur mitfeiern will. Eine Niederlage der Nationalelf war für die EM nicht eingeplant. Es sollte durchgefeiert werden bis zum Finale. Stattdessen - Frustration, Enttäuschung und ein bisschen Wut.

Aber wer hat uns denn überhaupt diktiert, ob unser Abschneiden nun gut oder schlecht war, ob unsere Spieler Stars oder Pfeifen sind. Für mich stellt sich dann immer die Frage, ob unsere Medien die allgemeine Befindlichkeit der Deutschen nur wiedergeben, ob sie sie beeinflussen oder - speziell die Bild - für sich beanspruchen, sie zu diktieren. Noch nie habe ich vor einer EM/WM einen so einstimmigen Kanon aus den Medien vernommen: “Wir sind Favorit und holen den Titel.” Umso größer dann die Frustration in den Medien nach dem Ausscheiden. Zwischendrin wurde ein so großer Erwartungsdruck aufgebaut, dass sich ein gewisser Thomas M. aus M. sogar für den Titelgewinn geschämt hätte.

Haben die Medien den Deutschen gesagt, wie sie sich zu fühlen haben (und alle plappern es nach) oder nur die allgemeine Stimmung wiedergegeben? Das gleiche gilt für die Euphorie bei den vorherigen Turnieren. Wer hat sie geschürt und Sprüche geklopft? Und wer hat ihnen Gehör geschenkt und sein Auto beflaggt? Fragen über Fragen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen