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Sonntag, 3. März 2013

Abseits ist, wenn...

Ein Schiedsrichterpodcast? Ich war skeptisch als ich das erste Mal von Collinas Erben hörte. Ob das interessant ist? Reinhören kann ich ja mal, dachte ich mir. Und seitdem möchte ich Collinas Erben nicht mehr missen. Fundiert, unterhaltsam und, meiner Meinung nach, aufwändig vertont, ist das, was regelmäßig über den Äther geht. Vorfreude, wenn der Podcast mit hintergründigem, einer Schallplatte nachempfundenen, Knistern und der bekannten Melodie beginnt. Überraschung oder einfach nur ein breites Lächeln, wenn neue oder klassische Zitate zum Besten gegeben werden. Aufgrund von Problemen mit der Datenverbindung durfte ich mir Lothar Matthäus' beleidigtes "nur für eine Richtung" gleich mehrfach anhören - ein Fest. Aber genug der Lobhudelei. Die wenigen Leser dieses Blogs haben sicherlich schon andernorts von den Vorzügen der Erben Collinas erfahren.

Worauf ich hinaus will? Just dort ging es um die Geschichte der Abseitsregel (ab 28:15) und ich bin irgendwie an dem Thema hängengeblieben. In den Anfängen gab es nur, die dem Rugby ähnliche Regel, dass der Ball nicht zurück nach vorn gepasst werden durfte. Noch im 19. Jahrhundert wurde diese Regel angepasst und es entstand eine Abseitsregel, die dem heutigen Reglement schon relativ ähnlich war: Ab 1873 war für eine Abseitsstellung nicht mehr der Moment der Ballannahme sondern der Moment der Ballabgabe interessant. Bei Collinas Erben wird diese Änderung in das Jahr 1925 verschoben, wo dann "die Scheiße anfing". Fakt ist, die Scheiße fing schon 1873 an (zumindest laut diesen Quellen) und bis zum Ende der Saison 1924/25 stand im Abseits, wer im Moment der Ballabgabe weniger als 3 Abwehrspieler zwischen sich und dem Tor hatte - heute sind es 2 Spieler. Ich fand die Frage, wie es zu eben dieser Änderung von 3 auf 2 Spieler kam, interessant und habe deshalb ein bisschen nachgeforscht.

Die Abseitsfalle wurde zu Beginn der 20er-Jahre sehr gern in England gespielt. Besondere Verdienste auf diesem Gebiet erwarben Frank Hudspeth und Bill McCracken von Newcastle United. Den beiden Außenverteidigern (in 20er-Jahren bestand die Verteidigung aus lediglich 2 Spielern) gelang es, eine beinahe narrensichere Abseitsfalle aufzustellen. Und die Gegner taten es ihnen gleich. Im Februar 1925 ermauerte sich Newcastle in Bury das sechste 0:0 der Saison und in ebendieser fielen pro Spiel im Schnitt nur noch 2,58 Tore - beides, für damalige Verhältnisse, dramatisch niedrige Werte. Nur zum Vergleich: In der Saison 2011/12 wurden in der Bundesliga im Schnitt 2,85 Tore geschossen.

Die Funktion der Abseitsfalle ist schnell erklärt: Die beiden Verteidiger spielten nahezu auf einer Linie fast auf Höhe der Mittellinie. Schnappte die Abseitsfalle mal nicht zu, gab es immer noch einen Verteidiger, der den Angreifer stellen konnte. Durch diese Spielweise fand das Spielgeschehen meist in schmalen Streifen links und rechts der Mittellinie statt - die Verteidiger rückten so weit wie möglich nach vorne auf. Mit kurzen Pässen und Dribblings versuchte die angreifende Mannschaft zum Erfolg zu kommen, aber das Spiel wurde immer wieder durch Abseitsstellungen unterbrochen, es fielen weniger Tore, die Zuschauerzahlen sanken.

Um das Spiel wieder attraktiver zu machen sah man Handlungsbedarf und erarbeitete zwei mögliche Lösungen für die Saison 1925/26:

  1. die Anzahl der verteidigenden Spieler, die eine Abseitsstellung auslösen konnten, auf 2 zu verringern oder 
  2. das Abseits nicht ab der Mittellinie sondern erst ab einer neuen Linie, die ca. 36 m (40 Yards) vorm Tor verlaufen sollte, zu pfeifen. 
Es gab einige Probespiele und schließlich entschied man sich für die heute bekannte Variante mit 2 Spielern.

Die Stürmer hatten wieder mehr Bewegungsfreiheit zwischen den Verteidigern, die Flügelspieler hatten mehr Raum und generell wurde die Größe des Spielfelds besser genutzt. Anstelle des Kurzpassspiels wurden öfter lange Bälle in die Räume zwischen den Verteidigern geschlagen. Einige Beobachter sahen diese Entwicklungen skeptisch und vermissten fußballerische Qualität. Der Erfolg gab jedoch der neuen Regel recht: In der folgenden Spielzeit stieg die Anzahl der erzielten Tore pro Spiel auf 3,69 und es kam zu einigen spektakulären, torreichen Ergebnissen. Das lag auch daran, dass sich die Mannschaften erst auf die neuen Gegebenheiten einstellen mussten und dabei so ihre Schwierigkeiten hatten - Arsenal schlug z.B. Ende September 1925 Leeds souverän mit 4:1 um wenige Tage später 0:7 gegen Newcastle zu verlieren. Die Attraktivität des Sports nahm wieder zu. Die Stadien füllten sich.

Bei eben genanntem Arsenal hatte gerade ein gewisser Herbert Chapman den Trainerposten übernommen. Die neue Abseitssregelung veranlasste ihn dazu, das bewährte Spielsystem zu überdenken - Chapman entwickelte die bekannte WM-Formation mit einem zusätzlichen dritten Verteidiger, der klassische Innenverteidiger war geboren. Es dauerte ein paar Jahre, bis sich Erfolge einstellten, dann aber richtig - von 1933-35 holte Arsenal bekanntermaßen 3 Meistertitel in Folge. Das WM-System wurde nach und nach zum Standard und noch viele Jahre praktiziert. Die nächste große Veränderung der Abseitsregel ließ bis 1990 auf sich warten: Ab der Saison 1990/91 war der Angreifer nicht mehr im Abseits, wenn er auf gleicher Höhe stand.

Wie sehr die Abseitsregel das Spiel in den 20er-Jahren beeinflusste, lässt sich eventuell noch in  Comics von Tom Webster nachvollziehen, die zwischen 1923 und 1925 in der Daily Mail erschienen. Auf der Website des British Cartoon Archive sind diverse Comics in guter Qualität zu dem Thema zu finden. Zum Beispiel einer vom November 1923, in dem es um ein 1:1 von Arsenal geht - die ersten 20 Minuten scheinen die Teams damit verbracht zu haben, sich gegenseitig ins Abseits zu stellen. Oder dieser Comic vom Januar 1925 - im Spiel zwischen West Ham und Arsenal kam es zu 30 Abseitsstellungen. Nach der Regeländerung thematisierte Webster u.a. die absurd vielen Toren, die nun fielen oder die Torhüter, die nun plötzlich wieder gefordert waren.

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2 Kommentare:

  1. Rückwärts Pässe waren verboten? Doch eher vorwärts, oder?

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  2. da wurstelt man sich durch 150 Jahre Regelkunde und dann verwechselt man vorwärts und rückwärts - danke für den Hinweis, ist geändert

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